Spannende Customer Journey in der Wirtschaftsprüfung
Wie die Digitalisierung in der Wirtschaftsprüfung den Prüfungsprozess verändert
Die digitale Transformation schreitet voran – die Wirtschaftsprüfung wird davon nicht ausgenommen. Die Führungskräfte werden herausgefordert, über die Weiterentwicklung der Prüfungsprozesse in der Wirtschaftsprüfung nachzudenken, um Vorteile der Digitalisierung gewinnbringend einzubinden. Am Ansatz der Customer Journey soll dies aufgezeigt werden.
© iStock.com/HAKINMHAN
1. IMPULSE IM UMFELD DER WIRTSCHAFTSPRÜFUNG
Innovationen im Bereich der digitalen, automatisierten Buchführung bei Prüfungskunden werden massgebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftsprüfung haben. Die Veränderungen bei den Prüfungskunden (Absatzmarkt) stellen nur einen der Treiber der Digitalisierung in der Wirtschaftsprüfung dar. Anlässlich eines Referats[1] wurden die mit der Digitalisierung einhergehenden Veränderungen bei den Anspruchsgruppen von Unternehmungen und im Umfeld der Wirtschaftsprüfung aufgezeigt (Abbildung 1). Innovative Prüfungstools (Beschaffungsmarkt), generell neue Möglichkeiten im technologischen Bereich, aber auch der Zeitdruck durch die Berichtsadressaten (Kapitalmarkt), immer schneller nach dem Bilanzstichtag über geprüfte Finanzzahlen verfügen zu können, verlangt nach Veränderungen bei der Abwicklung von Jahresabschlussprüfungen.
2. VERÄNDERUNGEN IN DER ABWICKLUNG VON ABSCHLUSSPRÜFUNGEN
Welche Veränderung bei der Durchführung von Abschlussprüfungen sind zu beobachten? Über die Realität der papierlosen Bürowelt wird schon seit Jahrzehnten diskutiert. Die Verbreitung von rein elektronisch basierten Prüfungsdokumentationen (digitale Prüfungsdossiers) in der Wirtschaftsprüfung wird wegen grosser technologischer Fortschritte nun zur Tatsache. Das externe Angebot an Prüfungstools für die Wirtschaftsprüfung, aber auch die interne Weiterentwicklung von Dokumenten, tragen aktiv zu dieser Entwicklung bei.
Die Digitalisierung in der Wirtschaftsprüfung beschränkt sich aber nicht auf elektronische Prüfungsdossiers. Auch die Zusammenarbeit mit dem Prüfungskunden verlagert sich in die digitale Welt. Mit dem positiven Effekt von Effizienzsteigerung und Kostenvorteil verschiebt sich der Dokumentenaustausch zwischen Prüfungskunde und Prüfungsgesellschaft in webbasierte Datenspeicherdienste (File Hosting bzw. File Sharing). Dadurch können die Nutzer die Dateien über ein Datennetzwerk wie das Internet auf einem zentralen Datenspeicher ablegen und ortsunabhängig über einen Client oder via Webbrowser darauf zugreifen. Solche Onlinedienste wurden von Dropbox[2] und Co. vor weniger als zehn Jahren erfunden. Die Bedeutung des Kundenprozessportals als einer der sieben Bausteine der digitalen Wirtschaft[3] wurde von Hubert Österle bereits 2003 in den Anfängen des Internetzeitalters erkannt. Österle merkte damals schon an, dass Unternehmen der digitalen Wirtschaft vom Kundenprozess ausgehen (heute im weiteren Sinn auch als Customer Journey verstanden). Solche Unternehmen fassen dabei alle Leistungen, die der Kunde über diesen Prozess nachfragt, in einem Kundenprozessportal zusammen.
Kundenprozessportale in Form von Datenaustauschplattformen sind in der datensynchronisierenden Welt angekommen und erfassen gegenwärtig auch die Wirtschaftsprüfung und das Treuhandwesen. Werden diese Veränderungen in die Zukunft projiziert, ist davon auszugehen, dass sich die Trennung der Systeme der Prüfungskunden (ERP und im engeren Sinn die Buchführungsapplikationen) von jener der Prüfungsgesellschaften (Prüfungsapplikationen) immer stärker aufheben werden.
Abbildung 1: ANSPRUCHSGRUPPEN UND UMFELD DER WIRTSCHAFTSPRÜFUNG
Darstellung von EXPERTsuisse
Die elektronische Bereitstellung der zu prüfenden Abschlussunterlagen wird die Möglichkeiten der Abschlussprüfung erweitern und ein verändertes, «digitaleres» Prüfungsvorgehen mit sich bringen. Mit dem Wechsel von Papier zur elektronischen Datei wird die Beherrschung der Werkzeuge wie Excelfunktionen für analytische Prüfungshandlungen zentral werden. Es ist an der Zeit, die im Berufsstand der Wirtschaftsprüfer häufig noch verbreitete kritische Grundhaltung zur Data Analytics im Zeitalter von Big Data abzulegen.
3. ERSTE ERFAHRUNGEN
Welche Erfahrungen hat der Autor im Rahmen der Abschlussprüfungen im Frühjahr 2019 von Kunden im KMU-Segment mit der Digitalisierung der Prüfungsprozesse gemacht?
Die Prüfungskunden haben überraschend gut mitgemacht, unabhängig von deren eigenem Digitalisierungsgrad und deren Organisationsform der Buchführung. Der Datenaustausch über das – aus Sicherheitsüberlegungen – im eigenen Unternehmen gehostete Datenaustauschportal stiess auf breite Akzeptanz bei den Prüfungskunden, unter anderem zurückzuführen auf die offene Kommunikation und die hoch angesetzten Anforderungen an die IT-Datensicherheit.
Das Kundendatenportal beschränkt sich nicht nur auf den sicheren Austausch von Abschlussdokumenten bzw. -daten und Prüfungsberichten, sondern entwickelt sich mittlerweile zum zentralen Lenkungsinstrument des Prüfungsprozesses ganz im Sinne des Kundenprozessportals nach Österle. Beim Aufbau eines solchen Kundenprozessportals setzte der Autor die Grundgedanken des Customer Journey Mapping ein, um aus Sicht des geprüften Unternehmens die kritischen Touchpoints zu identifizieren und die Customer Experience der betroffenen Mitarbeiter des geprüften Unternehmens stärker einzubeziehen.
Der Einbezug des Customer Journey Mapping (Abbildung 2) bei der Weiterentwicklung des Prüfungsprozesses beruht unter anderem auf Überlegungen von Clemens Trautmann[4], welcher auf die Bedeutung des Konzepts der kunden- und produktzentrierten Geschäftsmodelle hinweist. Technologie allein reiche jedoch für die Abwicklung von Dienstleistungen nicht aus. Vielmehr sei die Betrachtung oder noch besser die dynamische Beobachtung der Customer Journey der Link zwischen Kunden und angebotener Dienstleistung. Mit dieser Aussage bringt Trautmann es auf den Punkt: Der Prüfungskunde bzw. seine Wünsche müssen im Zentrum der Analyse der Dienstleistungserbringung stehen. Obwohl sich die Ausführungen von Trautmann auf die Medienbranche beziehen, haben seine Überlegungen gleichermassen Relevanz für Wirtschaftsprüfungsunternehmen. Die beiden Branchen haben die wissensbasierte Dienstleistung gemeinsam.
Mit der Einführung der Datenaustauschplattform wird auch eine ortsunabhängige Prüfungsdurchführung möglich, und es war zu beobachten, dass sich ein Teil der Prüfungstätigkeit vom Standort des Prüfungskunden ins Büro des Prüfungsunternehmens verlagerte, was wiederum unproduktive Wegzeit einsparte.
Abbildung 2: GRAFISCHE DARSTELLUNG EINER «CUSTOMER JOURNEY»
Quelle: https://rezolto.com/2018/03/21/customer-journey-mapping-video-guide/
Darstellung von EXPERTsuisse
Die Digitalisierung der Wirtschaftsprüfung bietet eine Vielzahl an Chancen. Dem Kostentreiber der zunehmenden Regulierung im Prüfungswesen aufgrund häufig ändernder Prüfungsnormen und -vorschriften kann mit Effizienz und infolge Kostenvorteilen begegnet werden. Als weitere Chance wird die Verkürzung der Abwicklungszeiten von Abschlussprüfungen gesehen, was auch der erwähnten Erwartung der Berichtsadressaten entgegenkommt.
Die neuen Möglichkeiten des Kundenprozessportals sind aber auch kritisch zu betrachten. Mit der teilweisen Verlagerung der Prüfungstätigkeit ins eigene Büro könnte es passieren, dass das Geschäftsverständnis der Prüfer über das zu prüfende Unternehmen[5] abhandenkommt. Das Unternehmensverständnis bleibt aber unabdingbare Voraussetzung für qualitativ hochstehende Prüfungsdienstleistungen.
Die vermehrte Verlagerung der Kommunikation in digitale Kanäle wird Auswirkungen auf das Verhältnis zum Prüfungskunden und auf die Kundenbindung haben. Die Beurteilung der Qualität der Buchführung und die Integrität der involvierten Personen erfordert auch weiterhin persönlichen Kontakt. Das Analysieren von Daten mit digitalen Werkzeugen und der Einbezug von künstlicher Intelligenz werden das Professional Judgement des Wirtschaftsprüfers nicht so rasch ersetzen können, die persönlichen Einschätzungen und Erfahrungen lassen sich nicht so einfach digitalisieren.
Der Erfolg der Digitalisierung der Prozesse in der Wirtschaftsprüfung wird aber nicht einzig auf Kundenseite entschieden. Das Mittragen der Prozessänderungen in der elektronischen Dokumentation durch die Mitarbeiter der WP-Abteilung ist ebenso entscheidend. Aus diesem Grund berücksichtigt der Autor bei der Digitalisierung des Prüfungsprozesses eine Auswahl an Prinzipien des agilen Projektmanagements, welche ihren Ursprung in der Software-Entwicklung haben. Zu den Prinzipien zählen: Einfachheit ist essenziell, nahezu tägliche Zusammenarbeit von Fachexperten (Wirtschaftsprüfern) und Entwicklern (interne IT-Mitarbeiter) während der Einführungsphase und Informationsaustausch im WP-Team im persönlichen Gespräch.
Abbildung 3: DIGITAL TRANSFORMATION MAP
Quelle: Expertsuisse, Digitalisierungsgrad der Treuhandbranche, 2017
Darstellung von EXPERTsuisse
Dank des aktiven Einbezugs der WP-Mitarbeiter während des gesamten Erneuerungsprojekts war es möglich, eine solide Akzeptanz zu schaffen und das Projekt vom Kick-off bis zum Golive innerhalb von sieben Monaten durchzuziehen.
4. HERAUSFORDERUNGEN
Herausforderungen waren nicht nur während des Umstellungsprozesses und im Frühjahr 2019 im Zuge der erstmaligen praktischen Umsetzung bei und mit den Prüfungskunden zu meistern. Folgende Aspekte gilt es auch in Zukunft auf dem Radar zu behalten:
→ IT-Sicherheit: Das Vertrauen der Prüfungskunden steht und fällt mit der IT-Sicherheit. Die Anforderungen haben den aktuellsten Standards zur IT-Sicherheit (IT-Grundschutz) zu entsprechen, um in Zeiten der zunehmenden Computerkriminalität (Cybercrime) gewappnet zu sein.
→ Qualitätssicherung der Prüfungsdienstleistungen: Seit 1. Oktober 2017 haben alle Revisionsunternehmen ein internes Qualitätssicherungssystem zu betreiben. Insbesondere den Anforderungen an die Vertraulichkeit, sichere Verwahrung, Integrität, Zugänglichkeit und Rückholbarkeit der Auftragsdokumentation[6] ist bei ausschliesslich elektronischen Prüfungsdossiers besondere Beachtung zu schenken. Gut durchdachte Lösungen und Prozesse können den Aufwand für die ordnungsgerechte Archivierung der Prüfungsdokumentation erleichtern.
→ System- und Prozessintegration: Die Aufweichung der Grenzen zwischen Systemen und Abschlussdokumentation beim geprüften Unternehmen und der Prüfungssoftware und -dokumentation bei der Prüfungsgesellschaft wird neue Fragen aufwerfen. Mit der fortschreitenden Digitalisierung wird sich die Thematik des Embedded Audit nicht nur auf sogenannte Doppelmandate bei der eingeschränkten Revision konzentrieren. Es werden sich auch die Anforderungen an Prüfungsnachweise ändern.
→ Unabhängigkeit: Mit der System- und Prozessintegration verbunden, öffnen sich neue Knacknüsse im Bereich der Unabhängigkeit der Revisionsstelle. Die Branchenverbände und die Revisionsaufsichtsbehörde haben praxistaugliche Lösungen zu finden, um die Unabhängigkeit auch im digitalen Zeitalter aufrechtzuerhalten.
→ Applikationsverständnis der Prüfer: Die Erfahrung der Prüfer mit der Funktionsweise von ERP- bzw. Buchführungssystemen bei Prüfungskunden wird weiter zunehmen. Dies kann am folgenden Beispiel verdeutlicht werden: Die Autorisierungen von Lieferantenrechnungen bei Prüfungskunden sind nicht mehr visuell sichtbare, handschriftliche Visa auf den Belegen, sondern im Buchführungssystem elektronisch aufgezeichnete Freigaben von berechtigten Applikationsbenutzern.
→ Data-Analytics-Fähigkeiten der Prüfer: Zu beruflichen Charakteristiken erfahrener Wirtschaftsprüfer zählen ein scharfer Verstand und besondere analytische Fähigkeiten. Das Interpretieren von Finanzzahlen und -zusammenhängen zur Beurteilung der Korrektheit von Jahresabschlüssen wird als Fähigkeit allein nicht mehr ausreichen. Die Fertigkeit des Untersuchens von Datenbeständen mit digitalen Werkzeugen der Datenanalyse wird für die Prüfer essenziell.
5. FAZIT
Ein radikales Überdenken des eigenen Prüfungsprozesses im Sinne des Customer Journey Mapping unterstützt Prüfungsgesellschaften bei der Weiterentwicklung der Audit-Dienstleistung im digitalen Zeitalter. Die Einnahme einer kundenzentrischen Perspektive bei der Prozessgestaltung steht nicht in Widerspruch zu Vorgaben zur Unabhängigkeit; sie fördert hingegen die Akzeptanz bei den Akteuren der geprüften Unternehmen und erhöht die Qualität der professionellen Zusammenarbeit bei der Prüfungsdurchführung.
Die Zusammenfassung der Studie von Expertsuisse zur Digitalisierung[7] aus dem Jahr 2017 wirft mit der Huhn-Ei-Metapher einmal mehr die Frage auf, ob der digitale Impuls zunächst vonseiten der Prüfungskunden oder umgekehrt aus der Richtung der Wirtschaftsprüfungs- bzw. Treuhandunternehmung kommt. In der Digital Transformation Map (Abbildung 3) wird der Weg für innovative Unternehmungen in Wirtschaftsprüfung, Steuern und Treuhand mit dem grünen Pfeil gezeigt, wonach es bestimmt von Vorteil wäre, wenn die Branche vorausgeht, um die Entwicklung aktiv mitgestalten zu können. Die eigene Erfahrung bestätigt, dass weniger IT-affine Kunden nachziehen, wenn zukunftsgerichtete Prüfungs- und Treuhandunternehmungen den Einsatz der IT vorgeben. Erlangen die Kunden den digitalen Reifegrad vor ihrer betreuenden Prüfungs- bzw. Treuhandgesellschaft, wird dies quantitative und qualitative Folgen für solche «überholte» Branchenunternehmen haben, mitunter bis zum Verlust des Mandats.
In Anlehnung an Konfuzius ist das Fazit zu ziehen: Die (Customer) Journey ist das Ziel. Es braucht von allen Seiten Geduld, Kontinuität und eine Portion Gelassenheit auf dem Weg der digitalen Transformation, ohne das anzustrebende Ziel aus dem Fokus zu verlieren.
Expertsuisse ist daran, mit einer neuen Umfrage bei den Mitgliedunternehmen 2019 einen noch besseren Einblick in den Stand der Digitalisierung zu erlangen, um die laufende Transformation genauer zu verstehen und entsprechende Angebote zu liefern.
Text erschienen im EXPERT Focus 8-2019
Anmerkungen:
1) Referat Digitalisierung in der Wirtschaftsprüfung – Wohin geht die Reise anlässlich des Seminars Digitalisierung im Treuhandwesen, 20. November 2018, Zürich.
2) Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Dropbox, Zugriff am 31. Mai 2019.
3) Vgl. Österle, H., Geschäftsmodell des Informationszeitalters, in: Business Engineering – Auf dem Weg zum Unternehmen des Informationszeitalters, S. 24ff., Berlin Heidelberg 2003.
4) Vgl. Trautmann, C., Industry Expertise in the Digital Media Industry: Specialization vs. Disruption of Online Business Models, in: Franz, C., Bieger, T., Herrmann, A. (Hrsg.), Evolving Business Models – How CEOs Transform Traditional Companies, S. 181–193, Cham 2017.
5) Vgl. Schweizer Prüfungsstandard 230.
6) Vgl. Schweizer Qualitätsstandard, Ziff. 46ff. 7) Vgl. Klauser, M., Herzog, D., Digitalisierungsgrad der Treuhandbranche, in: Expert Focus 2017/11, S. 832–837.