Unionsrechtswidrigkeit der Hinzurechnungsbesteuerung im Verhältnis zur Schweiz?
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland sind traditionell sowohl im Finanz-, als auch im Dienstleistungs- und Handelssektor bereits seit vielen Jahrzenten eng miteinander verflochten.
Ausgangslage
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland sind traditionell sowohl im Finanz-, als auch im Dienstleistungs- und Handelssektor bereits seit vielen Jahrzenten eng miteinander verflochten. Aufgrund der unterschiedlichen steuerpolitischen Ausrichtung der beiden Staaten, die sich besonders im Steuergefälle bemerkbar macht, werden deutsche Unternehmer mit der Hinzurechnungsbesteuerung (HZB) und den daraus resultierenden zusätzlichen (oftmals überraschenden) Steuerbelastungen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten in der Schweiz konfrontiert. Deren potentielle Unionsrechtswidrigkeit auch im Verhältnis zur Schweiz könnte diese massiven Probleme beseitigen. Zudem sollte die in Kürze zu erwartende Reform zu einer deutlichen Entschärfung vor allem für Handels- und Dienstleistungsgesellschaften führen.
Anwendungsbereich und Systematik der deutschen HZB1
Der Anwendungsbereich der HZB wird unter folgenden, kumulativ zu erfüllenden, Voraussetzungen eröffnet:
– «Deutschbeherrschung» einer ausländischen Kapitalgesellschaft zu mehr als 50% durch in Deutschland ansässige unbeschränkt steuerpflichtige Personen (oder 1% bei Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften),
– Niedrige Ertragssteuerbelastung der ausländischen Gesellschaft mit weniger als 25% sowie
– Ausübung einer sog. «passiven Tätigkeit»2
Die Voraussetzung der «Niedrigbesteuerung» wird aktuell in allen Kantonen der Schweiz erfüllt. Im internationalen Vergleich ist die deutsche Niedrigbesteuerungsquote von 25% entschieden zu hoch, so dass ein dringender Anpassungsbedarfbesteht.3
Der nach deutschen Grundsätzen zu ermittelnde Gewinn gilt unmittelbar nach Ablauf des Wirtschaftsjahres als fiktive Dividende zugeflossen und unterliegt der vollumfänglichen Ertragssteuerpflicht (einschl. Gewerbesteuer), während für «normale» Dividenden eine Steuerfreistellung gewährt wird. Die bei der ausländischen Gesellschaft bereits entstandene Ertragsteuer kann nur im Wirtschaftsjahr der Zahlung (unabhängig von der Festsetzung!)4 auf die deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer angerechnet werden, nicht aber auf die Gewerbesteuer.
Vermeidung der HZB durch Nachweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit («Motivtest»)
Der EuGH hat in der Rs. «Cadbury Schweppes» entschieden, dass die – mit der deutschen vergleichbaren – britische HZB insoweit als europarechtswidrig einzustufen ist, als sie keinen Gegenbeweis in Form einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit mit Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen ermöglicht. Dabei muss das Personal so qualifiziert sein, dass es die Aufgaben der Gesellschaft eigenverantwortlich und selbständig erfüllen kann. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung durch die Einführung des sog. «Motivtests» in § 8 Abs. 2 AStG in nationales Recht umgesetzt. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese Regelung nicht vollumfänglich im Einklang mit EU-Recht steht, u.a. weil zu hohe Anforderungen an die wirtschaftliche Tätigkeit gestellt werden. Entgegen der ursprünglichen Intention wurde die Anwendung des Motivtests auf EU-/EWR-Staaten begrenzt und zudem an die weitere Voraussetzung der Auskunftserteilung im Wege der Amtshilfe geknüpft.
Anwendung des Motivtests auch im Verhältnis zum Drittstaat Schweiz über die Kapitalverkehrsfreiheit?
Nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH wird in der herrschenden Literatur die Auffassung vertreten, dass HZB-Fälle mit Drittstaaten dem Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit unterfallen, die nicht von der Niederlassungsfreiheit verdrängt wird.6 Der Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit steht auch nicht der Bestandsschutz für Regelungen, die bereits 1993 bestanden, entgegen (sog. «Stand-Still»-Regelung), weil die HZB 2001 grundlegend neu konzipiert wurde. Ebenso wenig scheitert die Anwendung des Motivtests im Verhältnis zur Schweiz an der Amtshilfeklausel des § 8 Abs. 2 S. 2 AStG, weil die Schweiz seit 2011 Auskünfte im Rahmen der grossen Auskunftsklausel erteilt. Aber auch für Zeiträume davor verhindert das Amtshilfeerfordernis nicht die Anwendung des Motivtests, sofern der Steuerpflichtige selbst Beweismittel für die tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit vorlegt.7
Im Einklang mit dieser Auffassung hat das FG Baden-Württemberg Zweifel an der Vereinbarkeit des Motivtests mit der Kapitalverkehrsfreiheit geäussert und hält eine höchstrichterliche Klärung der Unionsrechtswidrigkeit der HZB auch im Verhältnis zu Drittstaaten durch den EuGH für geboten.8 Abweichend hierzu hatte das FG Münster einen Verstoss gegen die Kapitalverkehrsfreiheit für einen CH-Urteilsfall verneint.9 Allerdings hatte sich das FG mit der herrschenden Literaturauffassung nicht weiter auseinandergesetzt und lediglich auf die fehlende Amtshilfe mit der Schweiz verwiesen. Der BFH wird im Revisionsverfahren Gelegenheit zur Klärung dieser Rechtsfragen haben.
Der BFH hat dem EuGH nun die Frage vorgelegt, ob die Regelungen der HZB für Kapitalanlagegesellschaften im Drittstaatenfall mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar sind.10 Zwar betrifft dieser Streitfall die Regelungen für Kapitalanlagegesellschaften mit einer Mindestbeteiligungsquote von nur 1 %, womit die Hürden für die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit deutlich niedriger liegen dürften. Gleichwohl sollte die Entscheidung des EuGH für die klassischen Handels- und Dienstleistungsfälle auch Erkenntnisse in Bezug auf die Anwendung der «Stand-Still»-Regelung sowie zur Auslegung der wirtschaftlichen Tätigkeit i.S. der Rechtsprechung in der Rs. «Cadbury Schweppes» bringen. Zumindest verneint der BFH in seinem Vorlagebeschluss die Verdrängung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Niederlassungsfreiheit und die Anwendung der «Stand-Still»-Regelung. Ob mit der EuGH-Entscheidung allerdings alle o.g. Rechtsfragen zu den klassischen HZB-Fällen geklärt werden, ist unklar. Jedenfalls dürfte die in Kürze zu erwartende Entscheidung des EuGH für die Frage der Unionrechtswidrigkeit der HZB im Verhältnis zur Schweiz wegweisend sein.11
Alternativer Verstoss gegen das Freizügigkeitsabkommen (FZA)?
Sofern die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft von einer natürlichen Person gehalten wird, eröffnet sich für die Anwendung des Motivtests zusätzlich der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit aufgrund des zwischen der EU und der Schweiz bestehenden FZA. Der EuGH hat mit den Urteilen in den Rs. «Ettwein» und «Radgen» entschieden, dass das Gleichbehandlungsgebot des FZA auch im Steuer recht anzuwenden ist. Damit wird der Spielraum des Gesetzgebers, mögliche Verletzungen des FZA zu rechtfertigen, deutlich eingeschränkt.12 Im Ergebnis haben auch natürliche Personen mit Beteiligungen an CH-Kapitalgesellschaften die Möglichkeit, die Anwendung der HZB unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit zu vermeiden, sofern der Nachweis der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit erbracht werden kann.
Reform der HZB aufgrund der Anti-Tax-Avoidance-Directive der EU (ATAD)
Zur Umsetzung der BEPS-Empfehlungen der OECD hat die EU in Form der ATAD eine Richtlinie verabschiedet, mit der Steuervermeidungspraktiken in der EU wirksamer begegnet werden soll. Diese sieht Mindeststandards u.a. für die HZB vor, deren Umsetzung in nationales Recht bis zum 1.1.2019 erfolgen muss. Zwar liegen diese Mindeststandards deutlich unter den Vorgaben der deutschen HZB. Gleichwohl ist aber davon auszugehen, dass zur Vermeidung von unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen und uneinheitlichen Regelungen innerhalb der EU die überschiessende Wirkung der deutschen HZB auf das erforderliche Mass zurückzuführen ist, das zu einer wirksamen Missbrauchsbekämpfung notwendig ist. Dies vor dem Hintergrund, dass die Definition der passiven Einkünfte ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert darstellt und die schädlichen Mitwirkungstatbestände besonders aus der Zeit gefallen sind.13
Auch Vertreter der Finanzverwaltung halten eine Absenkung der Niedrigbesteuerungsgrenze sowie eine Überarbeitung des Aktivitätskatalogs für notwendig. Für die zur Umsetzung der ATAD erforderliche Reform der HZB hat das BMF eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich dem Vernehmen nach bereits auf einen Reformentwurf verständigt hat. Es bleibt zu hoffen, dass dabei auch das für die
Praxis besonders ärgerliche Problem der Doppelbesteuerung mit Belastungen von bis zu 65 % beseitigt wird.
Fazit und Ausblick
Die vom EuGH erzwungene Einführung des Motivtests gilt nicht im Verhältnis zu Drittstaaten mit der Folge, dass wirtschaftliche Tätigkeiten in der Schweiz weiterhin durch die HZB diskriminiert werden. Es sprechen jedoch gute Gründe dafür, dass diese Diskriminierung über die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit als unionsrechtswidrig auch im Verhältnis zu Drittstaaten wie der Schweiz anzusehen ist. Natürliche Personen können sich zudem auf das FZA berufen.
Eine weitere Entschärfung ist durch die anstehende Reform der HZB im Rahmen der Umsetzung der ATAD zu erwarten, die zu einer Absenkung der Niedrigbesteuerungsquote sowie zur Behandlung von Handel und Dienstleistungen als (unschädliche) aktive Tätigkeiten führen sollte. Im Übrigen dürfte die kurzfristig zu erwartende EuGH-Entscheidung zur Unionsrechtswidrigkeit der HZB in Bezug auf Kapitalanlagegesellschaften nicht ohne Einfluss auf die nationale Reform der HZB bleiben.14
Text erschienen im CH-D Wirtschaft 3/2017
1) Vgl. ausführlich mit Fallbeispielen Ruh, EXPERT FOCUS 2017, S. 440
2) nsb. bei Dienstleistungs- und Handelstätigkeiten unter Mitwirkung der Gesellschafter.
3) Vgl. Mattern/Özkan/Prusko, IStR 2017, Heft 7/2017, II – V
4) Vgl. zu den damit verbundenen Gesamtsteuerbelastungen von bis zu 65 % Ruh, EXPERT FOCUS 2017, S. 440
5) Die Reform der HZB dürfte zu einer Anrechnung auf die Gewerbesteuer führen.
6) Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7-14, Tz. 33 sowie Schön, IStR-Beihefter 2013, S. 3, 8f..
7) Vgl. Schönfeld, IStR 2016, S. 416, 418 sowie Reiche, in Haase, AStG/DBA, § 8 AStG, Tz. 146
8) Az. 3 V 4193/13, EFG 2016, S. 17; vgl. Ruh/Ottstadt, IWB 2016, S. 184.
9) Urteil vom 30.10.2014, Az. 2 K 6 18/11, EFG 2015,S. 351
10) Beschluss vom 12.10.2016, Az. des BFH: I R 80/14, BStBl. II 2017, S. 615; Az. beim EuGH: C-135/17.
11) Vgl. Köhler in S/K/K, AStG/DBA Beteiligungen an ausl. ZWG, Tz. 55.1.; Kraft, NWB 2017, S. 910 sowie Bannes/Cloer/Holle, ISR 2017, S. 620, 623.
12) Vgl. Clore/Vogel, DB 2013, S. 1142, 1144 sowie Kubaile, PIStR 2014, S. 96, 98.
13) Vgl. Haase, BB 2017, Heft 18, S. I; Mattern u.a.,a.a.O. sowie Linn, IStR 2016, S. 645.
Unionsrechtswidrigkeit der Hinzurechnungsbesteuerung im Verhältnis zur Schweiz?
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland sind traditionell sowohl im Finanz-, als auch im Dienstleistungs- und Handelssektor bereits seit vielen Jahrzenten eng miteinander verflochten.
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland sind traditionell sowohl im Finanz-, als auch im Dienstleistungs- und Handelssektor bereits seit vielen Jahrzenten eng miteinander verflochten. Aufgrund der unterschiedlichen steuerpolitischen Ausrichtung der beiden Staaten, die sich besonders im Steuergefälle bemerkbar macht, werden deutsche Unternehmer mit der Hinzurechnungsbesteuerung (HZB) und den daraus resultierenden zusätzlichen (oftmals überraschenden) Steuerbelastungen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten in der Schweiz konfrontiert. Deren potentielle Unionsrechtswidrigkeit auch im Verhältnis zur Schweiz könnte diese massiven Probleme beseitigen. Zudem sollte die in Kürze zu erwartende Reform zu einer deutlichen Entschärfung vor allem für Handels- und Dienstleistungsgesellschaften führen.
Anwendungsbereich und Systematik der deutschen HZB1
Der Anwendungsbereich der HZB wird unter folgenden, kumulativ zu erfüllenden, Voraussetzungen eröffnet:
– «Deutschbeherrschung» einer ausländischen Kapitalgesellschaft zu mehr als 50% durch in Deutschland ansässige unbeschränkt steuerpflichtige Personen (oder 1% bei Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften),
– Niedrige Ertragssteuerbelastung der ausländischen Gesellschaft mit weniger als 25% sowie
– Ausübung einer sog. «passiven Tätigkeit»2
Die Voraussetzung der «Niedrigbesteuerung» wird aktuell in allen Kantonen der Schweiz erfüllt. Im internationalen Vergleich ist die deutsche Niedrigbesteuerungsquote von 25% entschieden zu hoch, so dass ein dringender Anpassungsbedarfbesteht.3
Der nach deutschen Grundsätzen zu ermittelnde Gewinn gilt unmittelbar nach Ablauf des Wirtschaftsjahres als fiktive Dividende zugeflossen und unterliegt der vollumfänglichen Ertragssteuerpflicht (einschl. Gewerbesteuer), während für «normale» Dividenden eine Steuerfreistellung gewährt wird. Die bei der ausländischen Gesellschaft bereits entstandene Ertragsteuer kann nur im Wirtschaftsjahr der Zahlung (unabhängig von der Festsetzung!)4 auf die deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer angerechnet werden, nicht aber auf die Gewerbesteuer.
Vermeidung der HZB durch Nachweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit («Motivtest»)
Der EuGH hat in der Rs. «Cadbury Schweppes» entschieden, dass die – mit der deutschen vergleichbaren – britische HZB insoweit als europarechtswidrig einzustufen ist, als sie keinen Gegenbeweis in Form einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit mit Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen ermöglicht. Dabei muss das Personal so qualifiziert sein, dass es die Aufgaben der Gesellschaft eigenverantwortlich und selbständig erfüllen kann. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung durch die Einführung des sog. «Motivtests» in § 8 Abs. 2 AStG in nationales Recht umgesetzt. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese Regelung nicht vollumfänglich im Einklang mit EU-Recht steht, u.a. weil zu hohe Anforderungen an die wirtschaftliche Tätigkeit gestellt werden. Entgegen der ursprünglichen Intention wurde die Anwendung des Motivtests auf EU-/EWR-Staaten begrenzt und zudem an die weitere Voraussetzung der Auskunftserteilung im Wege der Amtshilfe geknüpft.
Anwendung des Motivtests auch im Verhältnis zum Drittstaat Schweiz über die Kapitalverkehrsfreiheit?
Nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH wird in der herrschenden Literatur die Auffassung vertreten, dass HZB-Fälle mit Drittstaaten dem Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit unterfallen, die nicht von der Niederlassungsfreiheit verdrängt wird.6 Der Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit steht auch nicht der Bestandsschutz für Regelungen, die bereits 1993 bestanden, entgegen (sog. «Stand-Still»-Regelung), weil die HZB 2001 grundlegend neu konzipiert wurde. Ebenso wenig scheitert die Anwendung des Motivtests im Verhältnis zur Schweiz an der Amtshilfeklausel des § 8 Abs. 2 S. 2 AStG, weil die Schweiz seit 2011 Auskünfte im Rahmen der grossen Auskunftsklausel erteilt. Aber auch für Zeiträume davor verhindert das Amtshilfeerfordernis nicht die Anwendung des Motivtests, sofern der Steuerpflichtige selbst Beweismittel für die tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit vorlegt.7
Im Einklang mit dieser Auffassung hat das FG Baden-Württemberg Zweifel an der Vereinbarkeit des Motivtests mit der Kapitalverkehrsfreiheit geäussert und hält eine höchstrichterliche Klärung der Unionsrechtswidrigkeit der HZB auch im Verhältnis zu Drittstaaten durch den EuGH für geboten.8 Abweichend hierzu hatte das FG Münster einen Verstoss gegen die Kapitalverkehrsfreiheit für einen CH-Urteilsfall verneint.9 Allerdings hatte sich das FG mit der herrschenden Literaturauffassung nicht weiter auseinandergesetzt und lediglich auf die fehlende Amtshilfe mit der Schweiz verwiesen. Der BFH wird im Revisionsverfahren Gelegenheit zur Klärung dieser Rechtsfragen haben.
Aktueller Vorlagebeschluss des BFH an den EuGH
Der BFH hat dem EuGH nun die Frage vorgelegt, ob die Regelungen der HZB für Kapitalanlagegesellschaften im Drittstaatenfall mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar sind.10 Zwar betrifft dieser Streitfall die Regelungen für Kapitalanlagegesellschaften mit einer Mindestbeteiligungsquote von nur 1 %, womit die Hürden für die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit deutlich niedriger liegen dürften. Gleichwohl sollte die Entscheidung des EuGH für die klassischen Handels- und Dienstleistungsfälle auch Erkenntnisse in Bezug auf die Anwendung der «Stand-Still»-Regelung sowie zur Auslegung der wirtschaftlichen Tätigkeit i.S. der Rechtsprechung in der Rs. «Cadbury Schweppes» bringen. Zumindest verneint der BFH in seinem Vorlagebeschluss die Verdrängung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Niederlassungsfreiheit und die Anwendung der «Stand-Still»-Regelung. Ob mit der EuGH-Entscheidung allerdings alle o.g. Rechtsfragen zu den klassischen HZB-Fällen geklärt werden, ist unklar. Jedenfalls dürfte die in Kürze zu erwartende Entscheidung des EuGH für die Frage der Unionrechtswidrigkeit der HZB im Verhältnis zur Schweiz wegweisend sein.11
Alternativer Verstoss gegen das Freizügigkeitsabkommen (FZA)?
Sofern die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft von einer natürlichen Person gehalten wird, eröffnet sich für die Anwendung des Motivtests zusätzlich der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit aufgrund des zwischen der EU und der Schweiz bestehenden FZA. Der EuGH hat mit den Urteilen in den Rs. «Ettwein» und «Radgen» entschieden, dass das Gleichbehandlungsgebot des FZA auch im Steuer recht anzuwenden ist. Damit wird der Spielraum des Gesetzgebers, mögliche Verletzungen des FZA zu rechtfertigen, deutlich eingeschränkt.12 Im Ergebnis haben auch natürliche Personen mit Beteiligungen an CH-Kapitalgesellschaften die Möglichkeit, die Anwendung der HZB unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit zu vermeiden, sofern der Nachweis der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit erbracht werden kann.
Reform der HZB aufgrund der Anti-Tax-Avoidance-Directive der EU (ATAD)
Zur Umsetzung der BEPS-Empfehlungen der OECD hat die EU in Form der ATAD eine Richtlinie verabschiedet, mit der Steuervermeidungspraktiken in der EU wirksamer begegnet werden soll. Diese sieht Mindeststandards u.a. für die HZB vor, deren Umsetzung in nationales Recht bis zum 1.1.2019 erfolgen muss. Zwar liegen diese Mindeststandards deutlich unter den Vorgaben der deutschen HZB. Gleichwohl ist aber davon auszugehen, dass zur Vermeidung von unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen und uneinheitlichen Regelungen innerhalb der EU die überschiessende Wirkung der deutschen HZB auf das erforderliche Mass zurückzuführen ist, das zu einer wirksamen Missbrauchsbekämpfung notwendig ist. Dies vor dem Hintergrund, dass die Definition der passiven Einkünfte ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert darstellt und die schädlichen Mitwirkungstatbestände besonders aus der Zeit gefallen sind.13
Auch Vertreter der Finanzverwaltung halten eine Absenkung der Niedrigbesteuerungsgrenze sowie eine Überarbeitung des Aktivitätskatalogs für notwendig. Für die zur Umsetzung der ATAD erforderliche Reform der HZB hat das BMF eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich dem Vernehmen nach bereits auf einen Reformentwurf verständigt hat. Es bleibt zu hoffen, dass dabei auch das für die
Praxis besonders ärgerliche Problem der Doppelbesteuerung mit Belastungen von bis zu 65 % beseitigt wird.
Fazit und Ausblick
Die vom EuGH erzwungene Einführung des Motivtests gilt nicht im Verhältnis zu Drittstaaten mit der Folge, dass wirtschaftliche Tätigkeiten in der Schweiz weiterhin durch die HZB diskriminiert werden. Es sprechen jedoch gute Gründe dafür, dass diese Diskriminierung über die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit als unionsrechtswidrig auch im Verhältnis zu Drittstaaten wie der Schweiz anzusehen ist. Natürliche Personen können sich zudem auf das FZA berufen.
Eine weitere Entschärfung ist durch die anstehende Reform der HZB im Rahmen der Umsetzung der ATAD zu erwarten, die zu einer Absenkung der Niedrigbesteuerungsquote sowie zur Behandlung von Handel und Dienstleistungen als (unschädliche) aktive Tätigkeiten führen sollte. Im Übrigen dürfte die kurzfristig zu erwartende EuGH-Entscheidung zur Unionsrechtswidrigkeit der HZB in Bezug auf Kapitalanlagegesellschaften nicht ohne Einfluss auf die nationale Reform der HZB bleiben.14
Text erschienen im CH-D Wirtschaft 3/2017
1) Vgl. ausführlich mit Fallbeispielen Ruh, EXPERT FOCUS 2017, S. 440
2) nsb. bei Dienstleistungs- und Handelstätigkeiten unter Mitwirkung der Gesellschafter.
3) Vgl. Mattern/Özkan/Prusko, IStR 2017, Heft 7/2017, II – V
4) Vgl. zu den damit verbundenen Gesamtsteuerbelastungen von bis zu 65 % Ruh, EXPERT FOCUS 2017, S. 440
5) Die Reform der HZB dürfte zu einer Anrechnung auf die Gewerbesteuer führen.
6) Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7-14, Tz. 33 sowie Schön, IStR-Beihefter 2013, S. 3, 8f..
7) Vgl. Schönfeld, IStR 2016, S. 416, 418 sowie Reiche, in Haase, AStG/DBA, § 8 AStG, Tz. 146
8) Az. 3 V 4193/13, EFG 2016, S. 17; vgl. Ruh/Ottstadt, IWB 2016, S. 184.
9) Urteil vom 30.10.2014, Az. 2 K 6 18/11, EFG 2015,S. 351
10) Beschluss vom 12.10.2016, Az. des BFH: I R 80/14, BStBl. II 2017, S. 615; Az. beim EuGH: C-135/17.
11) Vgl. Köhler in S/K/K, AStG/DBA Beteiligungen an ausl. ZWG, Tz. 55.1.; Kraft, NWB 2017, S. 910 sowie Bannes/Cloer/Holle, ISR 2017, S. 620, 623.
12) Vgl. Clore/Vogel, DB 2013, S. 1142, 1144 sowie Kubaile, PIStR 2014, S. 96, 98.
13) Vgl. Haase, BB 2017, Heft 18, S. I; Mattern u.a.,a.a.O. sowie Linn, IStR 2016, S. 645.