Mehr Sicherheit ohne Prozessrisiko
Am 1. Januar 2011 löste die neue Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO) die bisher geltenden 26 kantonalen Zivilprozessordnungen ab. Die ZPO enthält u.a. die Möglichkeit einer so genannten «vollstreckbaren öffentlichen Urkunde». Diese eröffnet Privatpersonen, Geschäftsleuten und Unternehmen einen neuen Weg zur autonomen, eigenverantwortlichen Rechtsgestaltung und zur Durchsetzung von Ansprüchen ohne Zivilprozess.

Frage
Wie viel Sicherheit bietet mir die neue «vollstreckbare öffentliche Urkunde» und wie einfach lässt sie sich vollstrecken?
Antwort
1. Sinn der vollstreckbaren öffentlichen Urkunde
Die vollstreckbare öffentliche Urkunde berechtigt eine Partei, die Vollstreckung für den beurkundeten Leistungsanspruch direkt – d.h. ohne vorgängigen Zivilprozess – einzuleiten. Die vollstreckbare Urkunde beruht auf freiwilliger Grundlage.
2. Was kann Gegenstand von vollstreckbaren öffentlichen Urkunden sein?
Gegenstand kann grundsätzlich jede Art von Leistung sein, die eine Partei einer anderen schuldet. Alles, was vertragsfähig ist, kann zum rechtsgültigen Gegenstand eines privatrechtlichen Vertrags gemacht und freiwillig in einer vollstreckbaren öffentlichen Urkunde geregelt werden.
Der Gesetzgeber hat aber einige – v.a. sozialpolitisch motivierte – Ausnahmen statuiert. Nicht direkt vollsteckbar sind u.a. Vereinbarungen über Leistungen aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht und aus dem Arbeitsverhältnis
3. Erforderlicher Inhalt von vollstreckbaren öffentlichen Urkunden
Um sofort wie ein Gerichtsurteil vollstreckbar zu sein, muss eine Urkunde einen Mindestinhalt aufweisen. So müssen die Verpflichtung zur Leistung anerkannt, der Rechtsgrund der Leistung und die Rechtsgrundlage genannt, die geschuldete Leistung genügend bestimmt oder zweifelsfrei bestimmbar und schliesslich die Vollstreckbarkeit durch den Schuldner anerkannt sein.
Um den erforderlichen Inhalt einer öffentlichen Urkunde im Hinblick auf die sofortige Vollstreckbarkeit zu veranschaulichen, sei ein einfaches Beispiel aus der Zeitschrift des Verbandes Bernischer Notare zitiert: «Ich anerkenne, Z. aus dem Kaufvertrag vom 5. April 2011 den Betrag von CHF 60‘000.– (sechzigtausend Schweizer Franken) zu schulden. Hinsichtlich der drei auf den 1. Mai 2011, 1. Juni 2011 und 1. Juli 2011 fälligen Ratenzahlungen im Betrag von je CHF 20‘000.– (zwanzigtausend Schweizer Franken) sowie für allfällige Verzugszinsen anerkenne ich die direkte Vollstreckung im Sinne von Art. 347 ff. der Schweizerischen Zivilprozessordnung.»
4. Wie wird eine vollstreckbare öffentliche Urkunde errichtet?
Öffentliche Urkunden kommen im Beurkundungsverfahren und unter Mitwirkung einer Drittperson (Notar bzw. Urkundsperson) zu Stande. Für das Beurkundungsverfahren gelten strenge Vorschriften, welche die Parteien zu überlegtem und sorgfältigem Handeln zwingen.
5. Wie wird eine vollstreckbare öffentliche Urkunde vollstreckt?
Erfüllt der Schuldner eine fällige Schuld nicht, für welche eine öffentliche Urkunde die sofortige Vollstreckbarkeit vorsieht, kann der Gläubiger die Vollstreckung verlangen. Es wird zwischen der Vollstreckung von Forderungen, die Geld- oder Sicherheitsansprüche zum Gegenstand haben, und der Vollstreckung von Realansprüchen unterschieden
5.1 Vollstreckung von Forderungen auf Geldzahlung oder Sicherheitsleistung
Forderungen, die auf Geldzahlung oder Sicherheitsleistung gerichtet sind, werden durch Betreibung gemäss dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchkG) vollstreckt.
Die vollstreckbare öffentliche Urkunde, die eine Geld- oder Sicherheitsleistung des Schuldners zum Gegenstand hat, gilt als definitiver Rechtsöffnungstitel im Sinne des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts. Der Gläubiger kann den Schuldner aufgrund der vollstreckbaren öffentlichen Urkunde betreiben und das Zustellen des Zahlungsbefehls an den Schuldner verlangen. Die Verteidigungsmöglichkeiten des Schuldners sind beim definitiven Rechtsöffnungstitel sehr stark eingeschränkt; wenn er gegen die Vollstreckung etwas unternehmen will, muss er das Prozess- und Kostenrisiko auf sich nehmen.
Hier zeigt sich der grosse Vorteil der vollstreckbaren öffentlichen Urkunde: Der Gläubiger kann – gestützt auf eine vollstreckbare öffentliche Urkunde – ohne vorgängige Zivilprozessführung direkt die Vollstreckung verlangen. Der Schuldner hat zwar noch verschiedene Reaktionsmöglichkeiten, um die Vollstreckung zu verhindern oder die Vollstreckungsfolgen rückgängig zu machen. Er muss dabei aber sehr gute Gründe und Beweise anführen.
5.2 Vollstreckung von Forderungen auf Realleistung
Forderungen, die nicht auf Geld- und Sicherheitsleistung, sondern auf Realleistung gerichtet sind (Realansprüche), werden nicht durch Betreibung, sondern durch Realvollstreckung nach den Regeln der ZPO durch das zuständige Vollstreckungsgericht vollstreckt. Die Realvollstreckung wird angewendet, wenn jemand eine nicht auf Geldzahlung gerichtete Leistung schuldet und sich weigert, die eingegangene Verpflichtung zu einem Tun, Unterlassen oder Dulden zu erfüllen. Ist jemand zu einer in einer vollstreckbaren öffentlichen Urkunde verbrieften Realleistung verpflichtet und weigert sich, diese bei Fälligkeit zu erbringen, kann der Gläubiger verlangen, dass die Urkundsperson dem Schuldner eine beglaubigte Kopie der Urkunde zustellt und eine Erfüllungsfrist von 20 Tagen ansetzt. Erfüllt der Schuldner nicht innerhalb der Erfüllungsfrist, kann der Gläubiger beim Vollstreckungsgericht die Vollstreckung beantragen. Der Schuldner hat nur noch drei sehr begrenzte Möglichkeiten, um die Vollstreckung zu verhindern oder rückgängig zu machen, nämlich den sofortigen Beweis, dass er nicht zur Leistung verpflichtet ist, oder er klagt gegen den Gläubiger auf Feststellung, dass die Forderung nicht oder nicht mehr besteht, oder er klagt auf Rückforderung nach erfolgter Vollstreckung. Auch er hat das Prozess- und Kostenrisiko.
Hier zeigen sich wiederum die Vorteile der vollstreckbaren öffentlichen Urkunde für den Gläubiger: Er kann ohne vorgängigen Zivilprozess die Vollstreckung seines Anspruchs erreichen. Der Schuldner kann dies nur verhindern, wenn er sofort klare Beweismittel zur Entkräftung der gegen ihn erhobenen Forderung hat oder in einem Zivilprozess die Klägerrolle übernimmt. In jedem Fall wird ein Schuldner, der eigenhändig und freiwillig eine vollstreckbare öffentliche Urkunde unterschrieben hat, einen schweren Stand haben sowie gute Gründe und Beweise liefern müssen.
6. Fazit
Der Gläubiger, der sein Recht auf eine vollstreckbare öffentliche Urkunde abstützen kann, muss nicht als Kläger den beschwerlichen Weg über einen Zivilprozess gehen, um die Vollstreckung zu erwirken. Dadurch, dass in einer vollstreckbaren öffentlichen Urkunde sowohl die Schuld als auch deren Vollstreckbarkeit klar umschrieben und verbrieft sein müssen, werden beide Parteien von unüberlegtem Handeln abgehalten und zu einer deutlichen vertraglichen Vereinbarung veranlasst. Der Schuldner, der die Vollstreckung einer vollstreckbaren Urkunde verhindern will, muss sehr gute Gründe und Beweismittel anführen und in einem Zivilprozess selber die Klägerrolle übernehmen. Die vollstreckbare öffentliche Urkunde ist ein neuer und guter Weg zur autonomen, eigenverantwortlichen Rechtsgestaltung und zur Durchsetzung von Ansprüchen ohne Zivilprozess. Jeder nicht geführte Zivilprozess ist für alle Beteiligten ein gewonnener Prozess…
Abschliessend lässt sich die eingangs gestellt Frage in einem Satz beantworten: Die vollstreckbare öffentliche Urkunde ist genau das richtige Instrument für alle jene, die ein Bedürfnis nach erhöhter Rechtssicherheit bei vereinfachter Vollstreckbarkeit verspüren.