Neues Sanierungsrecht erhöht Erfolgschancen
Nach dem traumatischen Swissair-Grounding 2001 war die Politik endlich bereit, längst fällige Rechtsanpassungen für die Sanierung von Unternehmen vorzunehmen. Dreizehn lange Jahre später hat die Schweiz nun endlich ein Sanierungsrecht, das sowohl für Unternehmen als auch Privatpersonen gilt. Die Änderungen im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (SchKG) sowie bei den arbeitsrechtlichen Vorschriften des Schweizerischen Obligationenrechts (OR) gelten seit 1.1.2014.
Frage
Welche Neuerungen bringt das revidierte Sanierungsrecht und wie wirken sie sich auf Unternehmen aus?
Antwort
Die wesentlichsten Neuerungen im Sanierungsrecht sind die Möglichkeiten zur erleichterten Auflösung von Dauerverträgen, die allfällige Beteiligungspflicht der Aktionäre an einer Sanierung und die Ausweitung des Aktionärsschutzes. Nach wie vor stehen Unternehmen für die Sanierung zwei Verfahren offen: der Konkursaufschub nach Art. 725a OR und das Nachlassverfahren gemäss Art. 293ff. SchKG.
Verschnaufpause für Schuldner
Ziel des neuen Rechts ist, das Sanieren von Unternehmen, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken, zu vereinfachen. Bisher endete ein Nachlassverfahren regelmässig im Konkurs oder in einem Nachlassvertrag, bei dem die Gläubiger meistens erhebliche Ausfälle – bis hin zum Totalverlust ihrer Forderungen – hinnehmen mussten. Nun soll das Nachlassverfahren dem Unternehmen auch gewährt werden können, um ihm eine viermonatige «Verschnaufpause» zu geben, die eine echte Betriebssanierung ermöglicht. In dieser Zeit kann das in Schieflage geratene Unternehmen eine gründliche Aufarbeitung und Erneuerung organisieren – und zwar ohne dabei unter dem Damoklesschwert einer sofortigen Betreibung zittern zu müssen! In dieser Phase können z.B. unvorteilhafte Verträge frisch ausgehandelt werden. Miet- und Leasingverträge lassen sich während dieser Stundung gegen Entschädigungszahlung kündigen.
Die Nachlassstundung (sei sie nun provisorisch oder definitiv) muss auch nicht mehr zwingend in einem Nachlassvertrag enden oder zum Konkurs führen, wenn die Sanierung misslingen sollte. Die Nachlassstundung kann vom Richter wieder aufgehoben werden, wenn z.B. die Sanierung bereits während der Stundung gelingt. Es ist somit auch möglich, eine Nachlassstundung zu reinen Stundungszwecken zu bewilligen. Folglich kann dem Schuldner gerade diese Verschnaufpause wesentlich helfen, sich neu zu orientieren und zu positionieren.
Übernahme von Mitarbeitenden und Sozialplan
Das neue Sanierungsrecht hat seine Spuren aber nicht nur in der technischen und für Laien oft komplizierten Materie des SchKG hinterlassen, sondern auch im Einzelarbeitsrecht des OR bei den Bestimmungen zum Einzelarbeitsvertrag.
Unter dem alten Regime konnte ein Unternehmer, der eine Not leidende Firma im Rahmen einer Sanierung übernahm, Arbeitsverhältnisse nur in einem sehr eng begrenzten Rahmen nicht übernehmen. Faktisch war er verpflichtet, alle bestehenden Arbeitsverhältnisse «mitzuschleppen». Neu muss ein Sanierer nicht mehr alle Mitarbeitenden behalten. Somit ist es ihm im Rahmen einer Sanierung z.B. möglich, unrentable Betriebsteile zu schliessen und die betroffenen Arbeitsverhältnisse zu beenden. Die Beteiligten verhandeln im Einzelfall, welche Arbeitsverhältnisse bei der Betriebsübernahme weitergeführt werden sollen. Dabei wurde zum Ausgleich der Arbeitnehmerinteressen die allgemeine Sozialplanpflicht eingeführt. Sie gilt für Betriebe mit mehr als 250 Mitarbeitenden, die innert 30 Tagen über 30 Entlassungen aussprechen wollen.
Dabei erfährt diese Pflicht aber eine wichtige gesetzliche Einschränkung: Der Sozialplan darf den Fortbestand des Betriebs nicht gefährden. Auf diese Weise soll gewährleistet sein, dass betriebsnotwendige Massnahmen im Rahmen der Sanierung nicht unterbleiben und dauerhaft gesunde Unternehmensstrukturen geschaffen werden können.
Solidarhaftung des neuen Firmeninhabers entschärft
Die Frage nach der Solidarhaftung des neuen Firmeninhabers für ausstehende Mitarbeiterlöhne konnte erst in der national- und ständerätlichen Einigungskonferenz gelöst werden. Nun gilt: Der frische Eigentümer haftet nicht solidarisch für die ausstehenden Mitarbeiterlöhne. Dank dieser Massnahme lassen sich Betriebsübernahmen im Rahmen von Sanierungen vereinfachen. Dieser Weg liegt sicher auch im Interesse der Arbeitnehmenden, wurden doch im alten Recht viele Sanierungen durch Betriebsübergaben dadurch verhindert, dass unrentable Teile übernommen werden mussten und die Haftung für Altlasten drohte. Auch dazu wurde im Gegenzug für Unternehmen ab 250 Mitarbeitende die erwähnte Sozialplanpflicht eingeführt.
Vereinfachte Auflösung von Dauerschuldverhältnissen
Gerade langfristige vertragliche Verbindlichkeiten wie Miete, Leasing oder Darlehen lasten schwer auf sanierungsbedürftigen Schuldnern. Wie bei allen Vertragsverhältnissen gilt auch hier grundsätzlich, dass diese Vereinbarungen nur unter Beachtung der gesetzlichen oder vertraglichen Termine und Fristen aufgelöst werden dürfen. Diese Beschränkung verunmöglichte früher viele Sanierungen, weil unvorteilhafte Verträge nicht innert nützlicher Frist gekündigt werden konnten. So mussten z.B. überdimensionierte Mieträume weiter bezahlt werden, weil kein Ausstieg aus dem Vertrag, sei es durch Kündigung oder Übertragung des Mietverhältnisses, erlaubt war. Neu gilt das äusserst effiziente Sanierungsinstrument des ausserordentlichen Kündigungsrechts.
Nun kann sich das sanierungsbedürftige Unternehmen von langfristigen Verpflichtungen befreien. Der Vertrag wird ausserordentlich aufgelöst (dieses ausserordentliche Kündigungsrecht gilt übrigens nicht bei Arbeitsverträgen). Konkret wird der Vertrag mit Zustimmung des Sachwalters mit dem Hinweis aufgehoben, dass ohne die Auflösung des Vertrags die Sanierung zu scheitern drohe. Dabei ist die Gegenpartei, d.h. der Vertragspartner (z.B. Vermieter, Leasinggeber), voll zu entschädigen. Dies geschieht durch Berücksichtigung der Entschädigungsansprüche als dividendenberechtigte Nachlassforderung.
Rückzahlung von Boni
Des Weiteren werden Verwaltungsräte unter bestimmten Umständen verpflichten, Boni bis fünf Jahre vor dem Konkurs zurückzuerstatten. Dies war bisher auf drei Jahre und nur auf Tantiemen (Gewinnbeteiligung aus versteuertem Unternehmensgewinn) beschränkt. Die Idee ist, dass Arbeitnehmende und Gläubiger bei Sanierungen vermehrt auch Nachteile akzeptieren müssen und so ein Ausgleich zwischen den Interessengruppen geschaffen wird.
Mitwirkungspflichten der Aktionäre und Gesellschafter
Eine Bestätigung des ordentlichen Nachlassvertrags durch das Nachlassgericht wird neu an die Bedingung geknüpft, dass bei einem Dividenden vergleich auch Aktionäre (AG) bzw. Stammanteileigentümer (GmbH) einen angemessenen Sanierungsbeitrag leisten.
Bislang war dies nicht der Fall. Der Gesellschafter bzw. Aktionär erhielt bei einem Dividendenvergleich quasi ohne Gegenleistung eine teilweise «Wiederbelebung» des vor dem Vergleich an sich wertlosen Anteils. Im Interesse der Opfersymmetrie und des Lastenausgleichs zwischen Gläubigern und Eigentümern ist diese grundsätzliche Vorschrift sicher sinnvoll. Es lauert jedoch latent die Gefahr, dass Eigner von vornherein auf ein Nachlassgesuch verzichten, um der Beitragspflicht zu entgehen. Dabei wird folglich wieder nur der Konkurs mit Auffanglösung statt Nachlassstundung möglich sein und viel wertvolles Know-how – und nicht zuletzt viele Arbeitsplätze – unnötig zerstört.
Bei der Sanierung interessiert Gläubiger und Nachlassgericht vor allem die zu erwartende Dividende. Ihre Höhe muss in einem richtigen Verhältnis zu den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Schuldners stehen, ansonsten ist dem Gericht die Möglichkeit genommen, den Nachlassvertrag zu bewilligen und die Sanierung scheitert daran. Neu können auch künftige Vermögenswerte des Schuldners (so genannte Anwartschaften) berücksichtigt werden, und die Nachlassdividende kann neu auch teilweise oder gar ganz aus Anteilen des Schuldners (Aktien oder GmbH-Stammanteile) bestehen.
Aufhebung des 2010 eingeführten Mehrwertsteuerprivilegs
Erst 2010 war im revidierten Mehrwertsteuergesetz das Privileg für Forderungen aus der Mehrwertsteuer in der zweiten Konkursklasse eingeführt worden. Diese Forderungen waren deshalb gegenüber dem Gros der Forderungen von Lieferanten und anderen Gläubigern stark bevorteilt. Diese Tatsache hat viele Sanierungen erschwert oder gar verunmöglicht. Auch deshalb wurde dieses Privileg nach nur vier Jahren wieder abgeschafft. Die Forderungen der Mehrwertsteuer sind nun nicht mehr privilegiert.
Fazit
Die neuen Regeln des Sanierungsrechts eröffnen viele erfolgsversprechende Gelegenheiten, um ein Unternehmen, das noch sanierungsfähig ist, das aber einfach mehr Zeit und Möglichkeiten dazu braucht, zu sanieren und nicht in den Konkurs zu schicken oder einen faulen Dividendenvergleich abzuschliessen. Auch dem Interessenausgleich und der Beteiligung aller Anspruchsgruppen an den Chancen aber auch beim Tragen der Lasten wurde ein Hauptaugenmerk geschenkt. Die neuen Vorschriften schaffen die Basis zu flexiblen Unternehmenssanierungen bei ununterbrochenem Betrieb. Dies ist zu begrüssen.