Wir werden immer gläserner
Aktuelle Entwicklungen wie der automatische Informationsaustausch mit Drittstaaten bei relevanten Steuerdaten, die neue Meldepflicht für Besitzer von Inhaberaktien oder die USA-Erbschaftssteuern bei so genannten «US Situs Assets» machen deutlich: Der Staat fordert von uns immer mehr Transparenz. Doch was bedeutet das für uns Bürger/-innen? – Höchste Zeit für ein klärendes Gespräch mit dem Steuerrechtsspezialisten Fabian Bruhin.
Beginnen wir mit dem automatischen Informationsaustausch von relevanten Steuerdaten mit Drittstaaten.
Wie Sie wissen, hat die Schweiz die Globalstandards zur Steuertransparenz anerkannt. Für die Umsetzung hat der Bundesrat im Januar 2015 zwei Vorlagen in die Vernehmlassung geschickt. Die eine betrifft das Verwirklichen des automatischen Austauschs von Bankkundeninformationen, die andere befasst sich mit dem Realisieren des OECD-Amtshilfeübereinkommens.
Was bedeutet das konkret?
CH-Finanzinstitute müssen den Schweizer Steuerbehörden jährlich die Daten ihrer ausländischen Kunden liefern. Diese Angaben leiten die Ämter an den Wohnsitzstaat des betreffenden Kunden weiter. Somit gelangt der ausländische Fiskus automatisch an Informationen über Kontoguthaben, Zinsgutschriften, Dividenden und Verkaufserlöse.
Und was hat dies mit dem inländischen Bankkundengeheimnis zu tun?
Sehr viel, denn der Bundesrat will, dass die hiesigen Steuerbehörden die aus dem Ausland erhaltenen Daten und Informationen über Schweizer Steuerpflichtige ebenfalls verwenden dürfen. Somit wird das inländische Bankkundengeheimnis faktisch ebenfalls abgeschafft – einfach durch die Hintertür…
Wann wird‘s ernst?
Das Erheben von Kontodaten ausländischer Steuerpflichtiger soll 2017 starten, so dass schon 2018 ein erster Datenaustausch zwischen den Vertragsstaaten stattfinden kann. Zudem steht das erwähnte Amtshilfeübereinkommen mit der OECD an. Voraussichtlich ab 2017 darf jeder der über 70 Vertragsstaaten in der Schweiz um Amtshilfe ersuchen bzw. wird spontan mit «relevanten» Informationen versorgt. Der Vertrag sieht u. a. vor, dass bei vorsätzlichen und strafrechtlich relevanten Steuerdelikten die Amtshilfe rückwirkend (!) bis zum 1. 1. 2014 möglich ist.
Was bedeutet das für mich als Steuerzahler?
Bürgern im In- und Ausland, die es mit der Steuerehrlichkeit bisher nicht so genau genommen haben, sollten ihre Vermögens- und Steuersituation schleunigst gesetzeskonform regeln und allenfalls sogar eine (straflose) Selbstanzeige ins Auge fassen.
Nächstes Thema: Inhaberaktien. Was erwartet uns hier?
Lassen Sie mich etwas ausholen. Die «Groupe d'action financière» (GAFI) bzw. «Financial Action Task Force» (FATF) ist eine internationale Organisation zur Bekämpfung der Geldwäscherei, Terrorismusfinanzierung und Finanzierung von Massenvernichtungswaffen. Die Schweiz ist Gründungsmitglied dieser 1989 ins Leben gerufenen Vereinigung. GAFI / FATF fordert mehr Transparenz über die Eigentumsverhältnisse bei juristischen Personen sowie Zugang für die zuständigen Behörden zu diesen Informationen. Auf diesen wachsenden internationalen Druck hinhat das eidg. Parlament u. a. Meldepflichten für Inhaberaktionäre nicht kotierter Aktiengesellschaften eingeführt. Die entsprechenden Gesetzesänderungen gelten bereits seit dem 1. 7. 2015.
Es scheint, als ob Betroffene unter Zugzwang stehen?
Genau: Wer jetzt Inhaberaktien von nicht börsenkotierten Gesellschaften erwirbt, muss neu den Erwerb innerhalb eines Monats der Gesellschaft melden. Des Weiteren hat der Erwerber seinen Vor-/Nachnamen bzw. seine Firma sowie seine Adresse bekanntzugeben. Beigelegt werden müssen ein amtlicher Ausweis mit Foto bzw. ein Handelsregisterauszug. Bei ausländischen juristischen Personen ist der Attest durch einen aktuellen beglaubigten Auszug aus dem ausländischen Handelsregister oder eine gleichwertige Urkunde zu erbringen. Zudem ist der Besitz der Inhaberaktien nachzuweisen, z. B. durch Vorlegen des Originals, einer Kopie davon oder einer von einer Bank ausgestellten Hinterlegungsbescheinigung.
Was gilt bei Inhaberaktien mit Erwerb vor dem 1. 7. 2015?
Die Betroffenen müssen ihren Aktienbesitz innerhalb von sechs Monaten (also bis spätestens 31. 12. 2015!) nachträglich der Gesellschaft melden. Sie haben ihr auch jede Änderung ihres Vor-/Nachnamens bzw. ihrer Firma sowie ihrer Adresse mitzuteilen.
Was geschieht, wenn man die Meldepflicht verletzt?
Ganz einfach: Die Mitgliedschaftsrechte, die mit den Aktien verbunden sind (z. B. Stimmrecht) ruhen. Auch die Vermögensrechte (z. B. Recht auf Dividende, Recht auf einen Anteil am Liquidationserlös), kann der Inhaberaktionär erst beanspruchen, wenn er seinen Meldepflichten Genüge geleistet hat. Holt er die Meldung später nach, darf er die ab diesem Zeitpunkt entstehenden Vermögensrechte (aber nicht rückwirkend!) geltend machen, d. h. die bisherigen Vermögensrechte sind verloren!
Da bekanntermassen aller guten Dinge drei sind, nun das Thema «US Situs Assets». Worum handelt es sich?
Diese Vermögenswerte stehen in bestimmter Beziehung zu den USA. Typische Beispiele sind Aktien von Gesellschaften, die nach US-Recht inkorporiert wurden – egal, ob und wie die Aktien kotiert sind oder gehandelt werden. Es kann sich aber auch um Immobilien, die in den USA liegen, sowie gewisse US-Anleihen oder Anlagefonds von US-Instituten handeln.
Wo ist der Link zur Schweiz?
Der Stolperstein ist die USErbschaftssteuer. Sie kann anfallen, wenn der Gesamtwert der «US Situs Assets» 60 000 US-Dollars übersteigt. Die Steuerpflicht gilt selbst dann, wenn Erblasser und Erben keine US-Bürger sind, nie in den USA gewohnt haben, weder den US-Pass noch eine Green Card besitzen!
Mit den USA verfügt die Schweiz doch seit 1951 über das «Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Nachlassund Erbanfallsteuer»…
Stimmt, aber leider hat sie es versäumt, vertraglich – so wie dies andere Staaten taten – die Befreiung von der US-Erbschaftssteuer einzubauen, sofern sich im Nachlass des (nicht-US-amerikanischen) Erblassers keine US-amerika-nischen Betriebsstätten oder Immobilien in den USA finden. Folglich müssen nicht US-amerikanische Erben die «Federal Estate Tax» auf USVermögenswerte berappen – und zwar zusätzlich zur hiesigen Erbschaftssteuer! Da ist es nur ein schwacher Trost, dass die meisten Kantone die Erbschaftssteuern in direkter Linie abgeschafft haben.
Wie soll ich mit den besprochenen Themen umgehen?
Erstens: Die Steuertransparenz kommt sehr bald. Bereiten Sie sich jetzt darauf vor. Zweitens: Die bisherige Inhaberaktie ist Geschichte. Erfüllen Sie Ihre Meldepflichten. Drittens: Die US-Steuerbehörden schlagen bei den «US Situs Assets» gnadenlos zu. Wappnen Sie sich umfassend.
Und wie lautet Ihr persönliches Fazit?
Ob hierzulande oder in Drittstaaten – Ämter und Behörden fordern von uns laufend mehr Transparenz. Das macht uns Bürger/-innen zweifellos gläserner. Doch ich frage mich: Macht es uns auch sicherer und glücklicher?