Bundesgericht beurteilt AHV-Weisung für Selbständigerwerbende als gesetzeswidrig
Das Bundesgericht in Luzern hat kürzlich eine Weisung des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) für gesetzeswidrig erklärt und damit vorgängige Entscheide des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz bestätigt (BGE 9C_13/2015; Entscheid vom 11. August 2015). Aufgrund einer falschen Aufrechnungsmethodik haben Selbständigerwerbende regelmässig zu hohe AHV-Beiträge entrichten müssen. Das Bundesgericht hat diesem Vorgehen nun endgültig einen Riegel geschoben und die Aufrechnungsmethodik korrigiert.
Die Beitragsberechnung
Die Basis für die Berechnung der persönlichen AHV-Beiträge bildet das steuerbare und von den Steuerbehörden gemeldete Nettoeinkommen (Jahresgewinn) der Selbständigerwerbenden. Anschliessend werden die AHV-Beiträge dem abgabepflichtigen Einkommen wieder zugeschlagen, weil die AHV-Beiträge zwar vom steuerbaren Einkommen in Abzug gebracht werden können, jedoch nicht für die Belange der AHV-Beitragsberechnung (so genanntes Brutto-Prinzip). Zusätzlich werden die kalkulatorischen Zinsen auf dem investierten Eigenkapital vom AHV-beitragspflichtigen Einkommen in Abzug gebracht. Dies stellt eine rein AHV-technische Korrektur dar, welche beim gemeldeten steuerbaren Einkommen nicht berücksichtigt ist.
Folgende beiden Berechnungen zeigen die Differenz auf:
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Berechnung gem. WSN – RZ 1172:
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Nettoeinkommen (90.3%)
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250'000 |
+ 9.7% AHV-Aufrechnung pers. Beiträge
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26'855
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Bruttoeinkommen
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276'855
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- Zins auf dem investierten Eigenkapital
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(Annahme: 2 Mio. à 2.5%)
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-50'000
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Beitragspflichtiges AHV-Einkommen
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226'855
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Definitive Prämie mit Beitragssatz 9.7%
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22'005
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Berechnung gem. BGE 11.8.2015:
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Einkommen
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250'000
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- Zins auf dem investierten Eigenkapital
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(Annahme: 2 Mio. à 2.5%)
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-50'000
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Nettoeinkommen (90.3%)
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200'000
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+ 9.7% AHV-Aufrechnung pers. Beiträge
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21‘484
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Beitragspflichtiges Einkommen
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221'484
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Definitive Prämie mit Beitragssatz 9.7%
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21'484
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Differenz
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521
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Die Aufrechnung der persönlichen Beiträge erfolgte bislang formelmässig in einem ersten Schritt (Einkommen: 90.3% x 9.7%), der Abzug der Zinsen auf dem Eigenkapital erst in einem nachfolgenden zweiten Schritt. Dies führte dazu, dass systematisch und wiederkehrend mehr persönliche Beiträge aufgerechnet wurden, als dann effektiv angefallen sind. Diese Berechnungsmethode bzw. die Reihenfolge der Berechnung ist in der «Wegleitung über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen in der AHV, IV und EO» (WSO) in Randziffer 1172 festgehalten. In der Beitragsberechnung muss der Betrag der Aufrechnung genau mit dem resultierenden AHV-Beitragsbetrag übereinstimmen (in der korrekten Variante gemäss BGE: CHF 21’484). Wird die jährlich wiederkehrende Mehrbelastung über mehrere Jahre betrachtet, können – auch bei kleinen Differenzen – erhebliche Beträge zusammenkommen.
Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts Schwyz und des Bundesgerichts Luzern
Die neue formelmässige Aufrechnung der persönlichen Beiträge wurde in Art. 9 Abs. 4 AHVG (Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung) am 17.6.2011 bzw. per Inkrafttreten ab 1.1.2012 neu geregelt. In der Übergangsregelung ist festgehalten, dass bei allen ab dem 1.1.2012 gemeldeten Einkommen dieformelmässige Aufrechnungsmethode zum Tragen kommt, auch für frühere, per 1.1.2012 noch nicht verfügte Beitragsjahre. Die Gerichte sind nun zum Schluss gekommen, dass der Gesetzeswortlaut und die -systematik klar seien, wonach das abgabepflichtige Einkommen dasjenige nach Abzug der Eigenkapitalzinsen sein müsse. Also müsse logischerweise auch der aufzurechnende AHV-Betrag demjenigen entsprechen, der – nach Abzug der Eigenkapitalzinsen – geschuldet sei.
Entgegen der Meinung des BSV gehe aus der Botschaft des Bundesrates zur erwähnten Gesetzesänderung keineswegs hervor, dass die formelmässige Aufrechnung vor Abzug der Eigenkapitalzinsen zu berechnen sei. Auch weitere Einwendungen des BSV wurden als nicht relevant und/oder nicht stichhaltig beurteilt. Daraus ergebe sich, dass das von der Steuerbehörde gemeldete AHV-beitragspflichtige Nettoeinkommen von den AHV-Behörden nur dann direkt «ins Hundert» gerechnet werden könne, wenn kein Eigenkapital vorhanden ist, für welches AHV-beitragsbefreite Zinsen zu berücksichtigen seien. Ist dies nicht der Fall, sind die AHV-beitragsbefreiten Zinsen auf dem Eigenkapital vorab vom – von den Steuerbehörden gemeldeten (AHV-beitragspflichtigen) – Nettoeinkommen in Abzug zu bringen.
Zudem stellen die Gerichte korrekt fest, dass sich die gesetzeskonforme Ermittlung der AHV-Beiträge weder als komplizierter noch als aufwändiger erweise als diejenige gemäss WSN, was angesichts des Gebots einer gesetzeskonformen Ermittlung der AHV-Beiträge ohnehin irrelevant sei.
Aus diesem Grund haben sowohl das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz als auch die sozialversicherungsrechtliche Abteilung des Bundesgerichts in Luzern die RZ 1172 der massgebenden WSN als gesetzeswidrig erklärt.
Künftiges Vorgehen der Ausgleichskassen
Das BSV hat kürzlich in einer Weisung wie folgt zum weiteren Vorgehen verlauten lassen:
«Die mit diesem Urteil festgelegte neue Rechtslage findet in der Praxis ab sofort Anwendung auf alle noch nicht rechtskräftig entschiedenen Fälle. Die aktuelle Fassung der RZ 1172 WSN kann somit nicht mehr angewendet werden. Die Ermittlung des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit hat künftig in der vom Bundesgericht bestätigten Reihenfolge (zuerst Abzug der Eigenkapitalzinsen [Art. 9. Abs. 2 lit. f AHVG], dann Aufrechnung der Beiträge [Art. 9 Abs. 4 AHVG]) zu erfolgen. Bereits rechtskräftige Verfügungen können nicht in Wiedererwägung gezogen werden. Die betroffene Weisung wird mit dem nächsten Nachtrag angepasst.»
Auch wenn also die Ausgleichskassen über den Bundesgerichtsentscheid informiert wurden, sollten Sie als Selbständigerwerbende dringend die Berechnung der Aufrechnung der persönlichen Beiträge prüfen. Falls die Berechnung immer noch nach alter Methode erfolgen sollte, sollten Sie umgehend mit Verweis auf den zitierten Bundesgerichtsentscheid innert 30 Tagen Einsprache erheben. Spätestens nach der Anpassung der Weisung auf (voraussichtlich) 1. Januar 2016 sollten die Berechnungen überall korrekt erfolgen.