Praxisänderung bei der Familienbesteuerung
Der Kinderabzug für volljährige Kinder in Ausbildung wurde bislang in dem Jahr, in dem das Kind volljährig wurde, unterschiedlich gehandhabt. Das Bundesgericht schafft nun Klarheit.
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Der Kinderabzug im Recht der direkten Bundessteuer
Für jedes minderjährige oder in Ausbildung stehende Kind kann ein Kinderabzug in Form eines Sozialabzugs geltend gemacht werden (heute CHF 6‘500). Voraussetzung ist, dass die den Abzug beanspruchende Person für den Unterhalt des Kindes sorgt.
Bei getrennten, geschiedenen oder unverheirateten Eltern (zwei Haushalte) mit einem gemeinsamen minderjährigen Kind sind die Unterhaltsbeiträge für das Kind vom Empfänger zu versteuern. Der leistende Elternteil kann diese Alimentenzahlungen in Abzug bringen. Der Elternteil, der die Unterhaltsleistungen erhält, kann den Kinderabzug sowie den Versicherungs- und Sparabzug für das Kind geltend machen.
Bei getrennten, geschiedenen oder unverheirateten Eltern (zwei Haushalte) mit einem gemeinsamen volljährigen Kind in Ausbildung sieht die Situation anders aus: Die Unterhaltsleistungen an das volljährige Kind sind vom Kind nicht zu versteuern. Der leistende Elternteil kann diese Alimente aber auch nicht vom steuerbaren Einkommen in Abzug bringen. Der Elternteil, der die Unterhaltszahlungen leistet, kann jedoch den Kinderabzug geltend machen. Leisten beide Elternteile Unterhaltszahlungen, kann der Elternteil mit den höheren finanziellen Leistungen den Kinderabzug geltend machen. Der andere Elternteil kann den so genannten Unterstützungsabzug geltend machen, sofern seine Leistungen mindestens in der Höhe des Abzugs erfolgen. Allerdings ist die Situation in jenem Steuerjahr unklar, in dem das Kind volljährig wird.
Unterschiedliche Praxen in den Kantonen
In dem Jahr, in dem das Kind volljährig wird, kann der Unterhaltsleistende die Alimente bis zum Erreichen des 18. Altersjahres in Abzug bringen bzw. der Empfänger muss diese bis dahin versteuern.
Ab dem 18. Geburtstag ändert sich das Regelwerk, d.h. die Alimente sind von nun an nicht mehr steuerwirksam. Doch wem steht nun der Sozialabzug für das am Stichtag (31.12.) volljährige Kind in Ausbildung zu? Einige Kantone gewähren den Kinderabzug im Jahr der Volljährigkeit - in wörtlicher Auslegung des Gesetzes - dem alimentenzahlenden Elternteil (Verhältnis am Stichtag entscheidend). Andere Kantone gewähren ihn jenem Elternteil, der die Kinderalimente zur Hauptsache als Einkommen versteuert. Je nachdem, an welchem Tag im Jahr das Kind das 18. Altersjahr erreicht, können die Steuerfolgen - entweder für den Unterhaltsleistenden oder aber für denjenigen, der noch einen Teil der Unterhaltsbeiträge versteuern muss - einen wesentlichen Vor- oder Nachteil darstellen.
Der Entscheid des Bundesgerichts
Hinsichtlich der unterschiedlichen Praxen der kantonalen Steuerbehörden sah sich das Bundesgericht nun gezwungen, eine Klärung herbeizuführen. Mit Entscheid vom 11. März 2019 hat die höchstrichterliche Behörde für die Belange des Kinderabzugs bei der direkten Bundessteuer eine «pro-rata-temporis»-Lösung festgelegt. Demnach entspreche es nicht dem Sinn des Gesetzes, wenn für die Frage des Kinderabzugs eine reine Stichtagsbetrachtung angewendet werde. Vielmehr bestehe eine Gesetzeslücke, welche durch Richterrecht zu füllen sei. Bis zum Tag der Volljährigkeit des Kindes hat der alimentenempfangende Elternteil Anspruch auf den anteiligen Kinderabzug (xx/365), ab diesem Tag hingegen der alimentenleistende Elternteil. Dies aber nur unter der Voraussetzung, dass die während des ganzen Jahres geleisteten Alimente den Betrag von CHF 6‘500 übersteigen.
Die vom Bundesgericht getroffene Lösung gilt per sofort für alle noch nicht veranlagten Fälle. Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass diese Lösung auch von den Kantonen übernommen wird.