Der Rangrücktritt bei Überschuldung: Einsatzmöglichkeiten und Wirkung
Der Rangrücktritt ist ein Instrument, das bei einer kurzfristigen Überschuldung zum Einsatz kommt. Es dient als Mittel zur Vermeidung der Benachrichtigung des Richters im Falle einer Überschuldung.
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Frage
Was ist ein Rangrücktritt, wann wird er eingesetzt und welche Wirkung entfaltet er?
Antwort
Das schweizerische Obligationenrecht (OR) unterteilt die möglichen Gesellschaftsformen in Kapital- und Personengesellschaften. Neben anderen Punkten unterscheiden sich diese beiden Gesellschaftsformen vor allem in der Regelung ihrer Haftung. Während bei einer Personengesellschaft neben dem Nettovermögen der Gesellschaft immer auch das Privatvermögen der beteiligten Personen für Schulden der Gesellschaft haftet, dienen bei Kapitalgesellschaften nur und ausschliesslich die Nettoaktiven (also Vermögen minus Schulden, was buchhalterisch dem Eigenkapital entspricht) als Haftungskapital. Diese grundsätzliche Unterscheidung hat den Gesetzgeber dazu bewogen, für Kapitalgesellschaften strenge Regeln aufzustellen, für den Fall, dass eine Gesellschaft in finanzielle Schieflage gerät.
Gesetzliche Vorgaben für Kapitalgesellschaften mit finanziellen Problemen
Eines der Ziele des Gesellschaftsrechts in der Schweiz ist – verständlicherweise – der Schutz von Gläubigerinnen (z. B. Lieferantinnen, Darlehensgeberinnen, Arbeitnehmerinnen oder dem Staat) vor dem Ausfall ihrer Ansprüche an eine Kapitalgesellschaft. Konkret regelt der Artikel 725 OR diesen Sachverhalt. Dieser Artikel unterscheidet die finanziellen Probleme je nach Ausprägung in zwei Kategorien:
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Artikel 725 Abs. 1 OR: Eine Kapitalgesellschaft befindet sich im Zustand eines Kapitalverlusts, wenn die Jahresrechnung einen (kumulierten) Verlust aufweist, der grösser als die Hälfte der Summe des Aktienkapitals1 zuzüglich der gesetzlichen Reserven ist. In diesem Fall sieht der Gesetzgeber vor, dass der Verwaltungsrat unverzüglich eine Generalversammlung einberuft und dieser (wirksame) Massnahmen zur Sanierung der Gesellschaft vorschlägt. Der Gesetzgeber wollte mit dem Instrument des Kapitalverlusts eine Warnschwelle einführen, die es der Unternehmensleitung ermöglicht, rechtzeitig das Steuer herumzureissen.
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Artikel 725 Abs. 2 OR: Eine Überschuldungssituation besteht dann, wenn die (kumulierten) Verluste das Eigenkapital übersteigen. In diesem Fall hat die Gesellschaft mehr Schulden als Vermögen und kann somit nicht mehr alle ihre Verpflichtungen begleichen. Das Gesetz sieht für diesen Fall vor, dass eine (Zwischen-)Bilanz sowohl zu Fortführungs- als auch zu Liquidationswerten erstellt wird. Falls diese Bilanz die Überschuldung zu beiden Werten zeigt und keine Sanierung möglich oder gewollt ist, muss der Verwaltungsrat die Bilanz beim zuständigen Gericht deponieren. Die Gesellschaft wäre mit diesem Schritt im Konkurs.
Grundsätzlich ist es im Sinn des Verwaltungsrats, im Fall von finanziellen Problemen möglichst lange nach geeigneten Sanierungsmassnahmen zu suchen und alle Möglichkeiten zur Sanierung zu nutzen. Die Zeit zur Durchführung einer Sanierung – gerade in einer Überschuldungssituation – ist nämlich begrenzt. Die Gerichtspraxis definiert den Zeitraum zwischen der Kenntnis einer Überschuldung und der Pflicht zur Deponierung der Bilanz einer Gesellschaft, bei der eine Sanierung nicht mehr möglich ist, auf vier bis sechs Wochen. In dieser Zeit muss der Verwaltungsrat nicht nur die Überschuldung feststellen, sondern auch das Ausmass der Sanierung berechnen, Gespräche mit möglichen Geldgeberinnen führen und schlussendlich auch die Sanierungsmassnahmen rechtlich bindend festlegen. In vielen Fällen dürften hier die von den Gerichten festgelegten Zeitfenster nicht ausreichend sein. Handelt ein Verwaltungsrat trotz einer Überschuldung nicht konsequent und schnell oder sind seine Sanierungsbemühungen unzureichend, kann er als Organ der Gesellschaft nach Artikel 755 OR haftbar werden. Die Haftung eines säumigen Verwaltungsrats sind umfangreich und können – bei entsprechendem Schaden – weitreichend und schmerzhaft sein.
Der Rangrücktritt als Helfer in der Not
Wie vorgehend dargestellt, zwingen finanzielle Probleme – vor allem im Fall einer Überschuldung – den Verwaltungsrat zu schnellem Handeln. In der Praxis ist es jedoch vielfach utopisch, eine Sanierung im beschriebenen Zeitfenster durchzuführen. So können in dieser kurzen Zeit weder organisatorische Massnahmen (z. B. Einstellen der Produktion oder Abbau von Mitarbeitenden) noch finanzielle Massnahmen (z. B. Erhöhung des Eigenkapitals) durchgeführt werden. Zeit wird somit zu einem kritischen Faktor. Hier kann ein Rangrücktritt helfen.
Was genau ist ein Rangrücktritt?
Oftmals verfügt eine Gesellschaft mit finanziellen Problemen bereits über Darlehen von diversen Parteien zur Finanzierung der Aktivitäten. Diese Parteien können nun mittels eines Rangrücktritts erklären, dass sie mit ihren Forderungen an die Gesellschaft im Fall eines Konkurses hinter alle anderen Gläubigerinnen zurücktreten. Damit stellen sich diese Parteien gegenüber anderen Gläubigerinnen schlechter, d.h. sie haben erst nach Befriedigung aller anderen Gläubigerinnen der Gesellschaft Anspruch auf Rückzahlung ihrer Darlehen. Eine vorzeitige Rückzahlung der Darlehen – auch in Teilen – ist für Darlehen unter Rangrücktritt ausgeschlossen. Dieses Zurücktreten von Gläubigerinnen honoriert der Gesetzgeber, indem er
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unter Rangrücktritt einer Gesellschaft den Verbindlichkeiten quasi einen Eigenkapitalcharakter zukommen lässt und
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dem Verwaltungsrat in diesem Zusammenhang mehr Zeit für die Sanierung einräumt resp. ihn vom unmittelbaren Gang zum Gericht befreit
Ein Rangrücktritt ist jedoch, und das muss ganz klar gesagt sein, KEINE Sanierungsmassnahme. Der Gesellschaft fliessen durch diese Aktion weder neue Mittel zu, noch werden die Schulden abgebaut. Der Rangrücktritt muss mit aller Deutlichkeit also vom Forderungsverzicht (endgültiger Verzicht des Gläubigers auf Rückzahlung des von ihm gewährten Darlehens) unterschieden werden.
Formerfordernisse an einen Rangrücktritt
Gerade das Fehlen der Sanierungswirkung eines Rangrücktritts macht diesen auch in der Gerichtspraxis umstritten. So hat das Bundesgericht im Jahr 2010 den Rangrücktritt in einem Urteil um ein Haar abgeschafft. Seitdem ist die rechtliche Wirksamkeit eines Rangrücktritts an strenge Auflagen geknüpft. Für die Erstellung eines Rangrücktritts sollte daher unbedingt eine entsprechende Vorlage eines Berufsverbandes aus der Treuhandbranche (z. B. EXPERTsuisse) verwendet werden. Es ist dringend abzuraten, von diesen Vorlagen abzuweichen resp. eine der zahlreich vorhandenen Vorlagen aus unklarer Quelle zu verwenden. So führt zum Beispiel das Knüpfen von Bedingungen an einen Rangrücktritt oder eine zeitliche Beschränkung eines Rangrücktritts automatisch zu dessen Nichtigkeit. Stützt sich ein Verwaltungsrat auf einen solchen nichtigen Rangrücktritt und verzichtet zu Unrecht auf die Deponierung der Bilanz beim Konkursgericht, greift die oben beschriebene Haftungsregel nach Artikel 755 OR.
Aufhebung eines Rangrücktritts
Gerade die fehlende Sanierungswirkung des Rangrücktritts impliziert die parallele Sanierung der Gesellschaft durch den Verwaltungsrat, selbst beim Vorliegen eines Rangrücktritts. Daher kann und soll ein Rangrücktritt – obwohl unbeschränkt gewährt – kein Mittel für die Ewigkeit sein. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, unter welchen Umständen ein Rangrücktritt wieder korrekt aufgehoben werden kann. Eine Aufhebung eines Rangrücktritts kann erst erfolgen, wenn sich die finanzielle Situation der Gesellschaft wieder erholt hat, d. h. die eingeleiteten Sanierungsmassnahmen – welcher Art auch immer – Wirkung gezeigt haben. Die Vorlagen für den Rangrücktritt der Berufsverbände sehen eine Prüfung nach den Schweizer Prüfungsstandards vor, die formell bestätigt, dass die Überschuldung beseitigt werden konnte. In der Praxis sollte mit der Aufhebung jedoch abgewartet werden, bis das Eigenkapital wieder eine gewisse Höhe erreicht hat. Die Prüfungspflicht zur Aufhebung des Rangrücktritts gilt auch für Gesellschaften, die keine Pflicht zur Prüfung der Jahresrechnung kennen (sogenanntes Opting-Out).
Zusammenfassung
Das Instrument des Rangrücktritts ist durchaus sinnvoll und kann – in einer an sich schon turbulenten Phase – dem Verwaltungsrat Zeit verschaffen, um seine Sanierungspflichten seriös wahrzunehmen. Wichtig für den Verwaltungsrat ist, dass der Rangrücktritt in seiner Form korrekt angewendet wird und Gewährende sich bewusst sind, mit der Gewährung ein Risiko einzugehen. Zudem sollten keine Bedingungen, gleich welcher Art oder Eventualitäten, an den Rangrücktritt geknüpft werden. Die Vorlagen der Berufsverbände mögen gegenüber anderen Vorlagen aus dem Internet strenger formuliert sein, gewähren aber auch die notwendige Rechtssicherheit. Der Zeitgewinn hat jedoch seinen Preis: Einerseits darf, trotz des Rangrücktritts, die Sanierung der Gesellschaft nicht vergessen gehen, andererseits bedingt die Aufhebung des Rangrücktritts einen Zusatzaufwand.
1 Der Text bezieht sich beispielhaft auf die Aktiengesellschaft – die gemachten Aussagen sind jedoch für alle anderen Kapitalgesellschaften identisch.