Inhalt und Funktion des Anhangs zur Jahresrechnung
Im Anhang zur Jahresrechnung müssen gemäss Art. 959c Abs. 1 Ziff. 1 OR Angaben über die in der Jahresrechnung angewandten Grundsätze gemacht werden. Der Anhang trägt zur Erläuterung und Präzisierung der Jahresrechnung bei. Er enthält aber auch Fallstricke, die beachtet werden sollten.
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Frage
Was muss der Anhang einer Jahresrechnung enthalten und worauf muss geachtet werden?
Antwort
Das schweizerische Obligationenrecht (OR) sieht in Art. 958 Abs. 2 vor, dass eine Jahresrechnung einer Kapitalgesellschaft mindestens aus der Bilanz, der Erfolgsrechnung und dem Anhang besteht (grössere Unternehmen weisen mit der Geldflussrechnung mindestens noch einen weiteren Bestandteil aus). Während die Bilanz die Vermögens- und Schuldensituation eines Unternehmens abbildet und die Erfolgsrechnung seinen wirtschaftlichen Erfolg nachweist, führt der Anhang oftmals ein Schattendasein. Offiziell dient der Anhang dazu, die beiden anderen Bestandteile der Jahresrechnung zu erläutern. Oftmals ist jedoch unklar, welche Bestandteile (diese sind als Minimalbestandteile in Art. 959c OR definiert) erläutert werden müssen oder sollten. Nachfolgend wird auf einige heikle Punkte dieser Erläuterungspflicht des Anhanges eingegangen.
Ausweis des Gesamtbetrags der aufgelösten stillen Reserven
Erstellende einer Jahresrechnung müssen gemäss Art. 959 Abs. 1 Ziff. 3 OR offenlegen, wenn sie ihr Jahresergebnis durch die Auflösung von stillen Reserven wesentlich verbessert haben. Stille Reserven entstehen immer dann, wenn ein Vermögenswert tiefer bilanziert wird als sein tatsächlicher Wert ist (respektive eine Verbindlichkeit höher bilanziert wird als eigentlich notwendig). Wird zum Beispiel im Jahr 1 eine Wertberichtigung auf einer Forderung im Umfang von 10 gebildet, so wird der entsprechende Jahresgewinn in diesem Jahr um diese Summe verringert. Wird im nächsten Jahr die Forderung vollumfänglich bezahlt, so fällt der Jahresgewinn im Jahr 2 um 10 besser aus, weil die Wertberichtigung aus dem Vorjahr aufgelöst werden kann.
Die Bildung (und somit auch die Auflösung) von stillen Reserven kann durchaus erhebliche Ausmasse annehmen. Ebenso kann ein schlechtes Geschäftsjahr durch geschickte Auflösung von stillen Reserven im Handumdrehen in ein – zumindest in der Jahresrechnung – erfolgreiches Jahr «schöngerechnet» werden. Der Gesetzgeber verpflichtet Erstellende der Jahresrechnung nun, dass sie ihre Bilanzlesenden auf diese Tatsache hinweisen. Die Ausweispflicht besteht jedoch nur, wenn die Auflösung von stillen Reserven wesentlich ist (d.h. als entscheidend für die Bilanzlesenden erscheint). Der Wesentlichkeitsbegriff findet sich – mit Ausnahme der Anhangsangabe – nirgends im Rechnungslegungsrecht. Die Frage nach der Wesentlichkeit – und somit nach der Pflicht einer Angabe im Anhang – stellt sich somit zu Recht. Es gibt dazu einige Faustregeln:
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Wird das Ergebnis durch die Auflösung stiller Reserven um rund 10% verbessert, muss geprüft werden, ob dies im Anhang ausgewiesen ist.
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Wird durch die Auflösung stiller Reserven ein operativ erzielter Verlust in einen Gewinn «gedreht», muss dies im Anhang eigentlich immer zwingend ausgewiesen werden.
Da die stillen Reserven eine entscheidende Rolle bei der Interpretation der Jahresrechnung spielen, muss eine Aufstellung der «tatsächlichen» Vermögenswerte/Schulden geführt werden, um den Bestand und die Veränderung der stillen Reserven zu ermitteln.
Im Anhang zur Jahresrechnung müssen nur wesentliche Nettoauflösungen ausgewiesen und als Zahl dargestellt werden. Das gilt nicht für die Bildung von stillen Reserven. Details zu den Auflösungen oder weitere Erläuterungen müssen nicht (können aber) dargestellt werden.
Ausweis von Eventualverbindlichkeiten
Bei der Bilanzierung von Verbindlichkeiten/Schulden gibt es in der Rechnungslegung verschiedene Zustände, die von der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts abhängen.
Beispiel 1: Erhält man eine (begründete) Rechnung für einen Wareneinkauf, so ist die Verbindlichkeit in ihrer Höhe und im Sachverhalt unbestritten (100% sicher). Man muss sie als Schuld in der Bilanz einbuchen.
Bei einer Rückstellung ist die Wahrscheinlichkeit des Eintritts sowie des Umfangs bereits weniger sicher.
Beispiel 2: Nach Abschluss einer Überbauung sollen entsprechende Rückstellungen für Garantie- oder Nacharbeiten gebildet werden. Jedoch ist im Zeitpunkt der Rückstellungsbildung nur klar, dass sehr wahrscheinlich Arbeiten in unbestimmter Höhe anfallen werden. Der Betrag muss bestmöglich geschätzt werden. Anschliessend muss abgewartet werden, ob und welche Arbeiten anfallen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ansprüche an das Unternehmen gestellt werden, liegt zwischen 50 und 95 Prozent. In diesem Fall müsste eine Rückstellung gebucht werden.
Beispiel 3: Man wird mit einem – aus Sicht des Unternehmens – absurden Vorwurf gerichtlich belangt. Gemäss Auskunft des eigenen Anwalts sind die Chancen für ein Reüssieren der Gegenpartei gering (unter 50%), dennoch kann eine Verurteilung nicht ausgeschlossen werden. In diesem Fall spricht man in der Rechnungslegung von einer Eventualverbindlichkeit. Diese Verbindlichkeit wird nicht gebucht, weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie eintritt. Trotzdem verlangt der Gesetzgeber von Erstellenden der Jahresrechnung, dass sie die Eventualverbindlichkeit im Anhang ausweisen (Art. 959c Abs. 2 Ziff. 10 OR). Die Eventualverbindlichkeit muss im Anhang beschrieben und mit einem Wert quantifiziert werden. Zudem muss begründet werden, warum es sich hierbei um einen nicht zu buchenden Tatbestand handelt. Der Ausweis einer Eventualverbindlichkeit muss immer kritisch überdacht werden. Einerseits ist eine transparente Information an die Bilanzlesenden wünschenswert, andererseits kann die Offenlegung einer Information auch ein gewisses Risiko in sich tragen. Auf jeden Fall muss der Formulierung dieses Bestandteils des Anhangs grosse Beachtung geschenkt werden.
Ereignis nach dem Bilanzstichtag
Die Jahresrechnung wird auf ein bestimmtes Datum hin erstellt. Bei rund 80 Prozent der Gesellschaften in der Schweiz ist dies der 31. Dezember. Da nach dem Jahresabschluss das Geschäftsleben nicht automatisch stillsteht, kann es im neuen Jahr Informationen geben, die den Jahresabschluss (rückwirkend) beeinflussen können. In diesem Fall müssen sich die Erstellenden der Jahresrechnung überlegen, ob diese Informationen in der Jahresrechnung (rückwirkend) abgebildet werden müssen.
Beispiel 1: Geht ein grosser Debitor mit wahrscheinlichen Verlusten in Konkurs, müsste die Forderung gegenüber diesem Kunden wertberichtigt werden. Dies kann als tatsächliche Buchung rückwirkend im Jahresabschluss erfolgen oder als Beschreibung des Sachverhalts im Anhang (mit Darlegung der entsprechenden Auswirkung auf die Jahresrechnung).
Beispiel 2: Interessant ist die aktuelle Lage bezüglich des Coronavirus. Da Covid-19 erst im Jahr 2020 zur Pandemie erklärt worden ist, stellt sie kein Ereignis nach dem Bilanzstichtag dar. Es handelt sich um eine Entwicklung der Wirtschaft nach Abschluss des Bilanzstichtags, die rückwirkend keine Wirkung entfaltet. Damit fehlt der Ursprung des Ereignisses im Geschäftsjahr der erstellten Jahresrechnung (im Gegensatz zum oben genannten Beispiel mit dem konkursiten Debitor). Die Wirkung von Covid-19 entfaltet sich buchhalterisch in vielen Fällen erst im Jahr 2020.
Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass es sich lohnt, auch den Anhang als vollwertigen Bestandteil der Jahresrechnung anzusehen. Der Anhang kann – neben den gesetzlich vorgesehenen Pflichtangaben – massgeblich zur Erläuterung und Präzisierung der übrigen Bestandteile der Jahresrechnung beitragen. Allerdings enthält er auch einige Klippen, welche die verantwortlichen Organe einer Jahresrechnung ordnungsgemäss umschiffen sollten. Ansonsten droht die fehlende Gesetzmässigkeit der Jahresrechnung und damit einhergehende negative Konsequenzen. Diese sollten auf jeden Fall verhindert werden.