Das Moratorium in Sachen Art. 725 Abs. 2 OR (Pflicht zur Anzeige einer Überschuldung) ist ausgelaufen!
Der Bundesrat hat am 16. April 2020 im Rahmen diverser notrechtlicher Entscheidungen auch eine Notverordnung im Zusammenhang mit insolvenzrechtlichen Massnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise auf den Weg gebracht. Das Ziel der Verordnung bestand darin, Unternehmen, welche kurzfristig in liquiditäts- und kapitalmässige Bedrängnis aufgrund der Corona-Krise geraten waren oder aber im Verlauf des Jahres 2020 noch geraten sollten, von ihren insolvenzrechtlichen Pflichten zur Deponierung ihrer Bilanz – vorübergehend – zu befreien. Der Bundesrat hat nun dieses vorübergehende Regime per 14. Oktober 2020 nicht mehr verlängert und es damit per 20. Oktober 2020 ausser Kraft gesetzt.
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Pflichten eines Verwaltungsrats in einer Überschuldungssituation (Art. 725 Abs. 2 OR)
Gemäss geltendem schweizerischen Obligationenrecht hat ein Verwaltungsrat (bei anderen Gesellschaftsformen das entsprechende oberste Leitungsorgan) im Falle einer Überschuldung, das heisst bei komplettem Verlust des Eigenkapitals des Unternehmens durch aufgelaufene Verluste, eine Reihe von unabdingbaren Pflichten. Zu diesen – durchaus unangenehmen – Pflichten gehören:
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Erstellen einer Zwischenbilanz zu Fortführungs- und Liquidationswerten
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Prüfung dieser Zwischenbilanzen durch einen zugelassenen Revisor / Revisionsexperten (dies gilt im Übrigen auch für Unternehmen, die über keine Revisionsstelle verfügen)
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Pflicht zur zeitnahen Sanierung der Gesellschaft, falls dies noch möglich ist
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Falls keine umfassende und nachhaltige Sanierung möglich ist, muss die Bilanz beim zuständigen Gericht deponiert werden (falls der Verwaltungsrat diese Pflicht nicht selbständig wahrnimmt, liegt die Pflicht zur Deponierung subsidiär bei der Revisionsstelle).
Interessant ist, dass im geltenden Aktienrecht die Überschuldung einzig an der Kapitalausstattung festgemacht wird. In der Praxis geht ein schlechter Geschäftsgang immer auch mit Liquiditätsproblemen einher. Der Gesetzgeber hat dies erkannt und greift mit dem neuen Aktienrecht in Zukunft in diesem Bereich korrektiv ein.
Möglichkeiten für Firmen im Rahmen des oben beschriebenen OR 725-Moratoriums
Verwaltungsräte von Firmen, welche im Jahr 2020 (aufgrund der Corona-Pandemie) kurzfristig in eine Überschuldungssituation geraten sind, konnten ihre oben beschriebenen Pflichten teilweise aussetzen. Voraussetzung war das Vorliegen folgender Tatbestände:
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Die Gesellschaft war per 31. Dezember 2019 nicht überschuldet und es besteht Aussicht, dass die Überschuldung der Gesellschaft per 31. Dezember 2020 behoben ist.
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Der Verwaltungsrat muss dies schriftlich begründen und dokumentieren.
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Eine Prüfung der Zwischenbilanz durch einen Revisor / Revisionsexperten ist nicht vorzunehmen.
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Eine subsidiäre Anzeigepflicht der Revisionsstelle entfällt.
Falls eine Unternehmung diese Vorgaben (nachweislich) erfüllt hat, konnte die Gesellschaft somit bisher das OR 725-Moratorium in Anspruch nehmen.
Was bedeutet die Aufhebung des OR 725-Moratoriums konkret?
Wie anfangs dargelegt, hat der Bundesrat das Moratorium (sehr kurzfristig) aufgehoben. Dies bedeutet, dass ab sofort wiederum das beschriebene, «reguläre» Pflichtenheft für einen Verwaltungsrat einer Gesellschaft mit Überschuldung gilt. Konkret muss also ab sofort bereits bei einer begründeten Besorgnis einer Überschuldung wieder umgehend gehandelt werden.
Ganz vom Tisch sind die Regelungen im Zusammenhang mit der bundesrätlichen Notverordnung aber doch noch nicht. Die Expertenverbände sind sich einig, dass die Verordnung noch bis Ende Jahr «nachwirkt» unter der Bedingung, dass der jeweilige Verwaltungsrat seine Entscheidungen (siehe Element der Notverordnung oben) vor dem 20. Oktober 2020 begründet und dokumentiert hat. Ansonsten kann eine Geltendmachung des OR 725-Moratoriums nicht beansprucht werden.
Wie sollte sich der Verwaltungsrat generell im Zusammenhang mit einer Überschuldung in unsicheren Zeiten verhalten?
Grundsätzlich tut ein Verwaltungsrat gut daran, nicht zuletzt auch wegen haftungsrechtlicher Aspekte im Zusammenhang mit Art. 754 OR, sich in unruhigen Zeiten mit dem finanziellen Zustand seiner Firma sehr intensiv zu beschäftigen. Folgende Grundsätze können dabei hilfreich sein:
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Kontinuierliche Beschäftigung mit dem Geschäftsgang der Unternehmung
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Zeitnahe und verlässliche Finanzinformationen einfordern und analysieren
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Führungsrhythmus erhöhen, also mehr Sitzungen durchführen und mehr Informationen austauschen
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Sanierungsmassnahmen frühzeitig und in ausreichender Höhe ergreifen
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Falls interne Erfahrungen zu diesem Thema nicht ausreichend vorhanden sind, sollte frühzeitig Hilfe gesucht und in Anspruch genommen werden.
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Die Situation sollte möglichst realistisch und ehrlich eingeschätzt werden.