Gewinnverwendung und Verlustverrechnung – kleine Anpassungen mit grosser Wirkung
Ohne grosse Aufmerksamkeit zu erlangen, wurden am 1. Januar 2023 mit der letzten Etappe der Aktienrechtsreform im Obligationenrecht kleine, aber feine Anpassungen im Bereich der Ergebnisverwendung eingeführt. Wie immer, wenn Anpassungen rund um die Jahresrechnung vorgenommen werden, empfiehlt es sich für Verwaltungsräte, Geschäftsführer und Finanzverantwortliche, diese genau zu studieren und die Auswirkungen auf die eigene Gesellschaft zu eruieren.
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Frage
Welche Auswirkungen haben die neuen Vorgaben des Rechnungslegungsrechts im Zusammenhang mit der Gewinnverwendung respektive der Verlustverrechnung auf die Jahresrechnung?
Antwort
Einleitung
Die in drei Teilen umgesetzte Revision des Aktienrechts im Schweizer Obligationenrecht (OR) kann zu Recht als Mammutprojekt für die schweizerische Rechnungslegungshistorie bezeichnet werden. Das Projekt, welches bereits in den 90er Jahren seinen Anfang nahm, hat sowohl bei Politikern wie auch bei Fachleuten der Buchführungszunft für hitzige Diskussionen gesorgt. Während die ersten zwei Teile das Rechnungslegungs- und Revisionsrecht nachhaltig geprägt haben, ist der letzte, anfangs dieses Jahres eingeführte «Bereinigungsteil» eher mit weit verbreitetem Desinteresse wahrgenommen worden. Auf den ersten Blick wenig verwunderlich, da vor allem Detailfragen in vielen Bereichen des Aktienrechts adressiert worden sind. Und wenn ein Thema für etwas Aufregung gesorgt hat, dann die neuen Vorgaben zu Kapitalverlust und Überschuldung.
Wie so oft im Leben lohnt sich auch beim letzten Teil der Aktienrechtsreform der Blick ins Detail. So hat sich der Gesetzgeber in der letzten Etappe der Anpassungen auch mit dem durchaus wichtigen Thema der Gewinnverwendung wie auch der Verlustverrechnung auseinandergesetzt.
Die Vorgaben sind dahingehend interessant, da sie schlicht und ergreifend (fast) alle Abschlüsse betreffen. Immerhin kann davon ausgegangen werden, dass jede Kapitalgesellschaft am Ende eines Geschäftsjahres ein Ergebnis erzielt – sei dieses positiv oder aber nicht. Aber wie ist nun mit diesem Ergebnis unter den neuen Vorgaben zu verfahren?
Gliederung des Eigenkapitals
Die Kategorien des Eigenkapitals sind im OR klar und verbindlich geregelt. Gemäss dem neuen Artikel 959a Abs. 2 Ziff. 3 ist das Eigenkapital in folgende Kategorien zu unterteilen:
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Grund-, Gesellschafter- oder Stiftungskapital
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Gesetzliche Kapitalreserven
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Gesetzliche Gewinnreserven
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Freiwillige Gewinnreserven
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Eigene Kapitalanteile (als Minusposten)
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Gewinn- oder Verlustvortrag (letzterer als Minusposten)
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Jahresgewinn oder Jahresverlust (wobei letzterer ebenfalls als Minusposten dargestellt werden muss)
Gemäss den gesetzlichen Vorgaben ist diese Gliederung verbindlich und ist als Minimum so zwingend vorgegeben, wenn die entsprechenden Positionen vorhanden sind. Ebenfalls bestimmt das Gesetz, dass die Reihenfolge entsprechend einzuhalten ist.
Der Gesetzgeber hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt und die oben aufgeführte Gliederung sowie die Bezeichnung der Positionen im Aktienrecht vereinheitlicht.
Vereinfachung der Gewinnverwendungsvorschriften
Das neue Aktienrecht hat die Gewinnverwendung wie auch die damit zusammenhängende Zuweisung an die Reserven massgeblich vereinfacht. Die neuen Vorgaben zur Gewinnverwendung und der Reservenzuweisung finden sich in Art. 672 OR. Neu sind vom Jahresgewinn einheitlich 5% den gesetzlichen Gewinnreserven zuzuweisen, bis diese zusammen mit der gesetzlichen Kapitalreserve 50% des eingetragenen Kapitals der Gesellschaft betragen.
Für Holdinggesellschaften – also Gesellschaften, die mehrheitlich Beteiligungen halten – liegt die Grenze für die Zuweisung aus dem Jahresgewinn bei 20% des Gesellschaftskapitals.
Falls gesetzliche Kapitalreserven vorhanden sind und diese gemeinsam mit den gesetzlichen Reserven mehr als 50% (respektive 20% bei Holdinggesellschaften) des Kapitals einer Gesellschaft betragen, kann daher auf eine weitere Zuweisung an die gesetzlichen Reserven verzichtet werden. In diesem Fall ist zu beachten, dass der Teil der gesetzlichen Kapitalreserve, welcher zusammen mit den gesetzlichen Gewinnreserven das «Sicherheitspolster» von 50% des Kapitals bildet, für eine Ausschüttung an die Anteilseigner gesperrt ist (Art. 671 Abs. 2 OR).
Wenn die Gesellschaft die Zuweisung an die gesetzliche Gewinnreserve vorgenommen hat oder von dieser gemäss den vorstehend geltenden Grundsätzen ausgenommen ist, kann sie frei (falls keine statutarischen Vorgaben bestehen) über den verbleibenden Anteil des Gewinns verfügen. Denkbar sind entweder eine Ausschüttung oder aber ein Vortrag auf das nächste Jahr.
Wie bereits unter den alten Vorgaben muss der Verwaltungsrat, respektive die vergleichbaren Leitungsgremien bei anderen Gesellschaftsformen, die Gewinnverwendung den Aktionären zur Genehmigung unterbreiten. Dieser Gewinnverwendungsvorschlag bildet dabei zusammen mit der Jahresrechnung den Jahresabschluss einer Gesellschaft. Der Verwaltungsrat ist für diesen sowie die Korrektheit aller gemachten Angaben verantwortlich und übernimmt eine entsprechende Haftung.
Übersicht über die Bestandteile des Eigenkapitals:
Reserven
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Bildung
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Ausschüttung / Sperrung
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Gesetzliche Kapitalreserve (Art. 671 OR)
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Agio, Aufgelder, Kaduzierungsgewinne sowie weitere Einlagen und Zuschüsse von Aktionären
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Sofern die gesetzlichen Kapitalreserven sowie die gesetzlichen Gewinnreserven 50% resp. 20% des Gesellschaftskapitals übersteigen (exkl. Reserven für eigene Aktien im Konzern sowie Aufwertungsreserven), kann dieser Teil ausgeschüttet werden.
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Gesetzliche Gewinnreserve (Art. 672 OR)
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5% vom Jahresgewinn (nach Abzug von Verlustvorträgen, bis 50% respektive 20% des Gesellschaftskapitals)
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Freiwillige Gewinnreserve (Art. 673 OR)
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Jahresgewinne (Bildung aufgrund statutarische Vorgaben oder Beschlüssen der GV)
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Ausschüttung jederzeit durch einen Beschluss der Generalversammlung möglich.
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Gewinn- oder Verlustvortrag
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Ergebnis nach Verteilung
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Neuerungen bei der Verlustverrechnung
Neben der Neuordnung der Gewinnverwendung sieht das neue Aktienrecht auch eine Klarstellung der Verlustverrechnung vor. Diese wird neu in Art. 674 OR geregelt und sieht neu eine gesetzlich definierte Reihenfolge der Verlustverrechnung vor. Neu müssen die Verluste in nachfolgender Reihenfolge verrechnet werden:
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Gewinnvortrag
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Freiwillige Gewinnreserve
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Gesetzliche Gewinnreserve
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Gesetzliche Kapitalreserve
Schliesst nun eine Jahresrechnung mit einem Verlust ab, so ist somit eine Verrechnung mit dem Gewinnvortrag und (wenn diese nicht ausreichend ist) mit den freiwilligen Reserven vorzunehmen. Die Verrechnung muss selbstverständlich nur so weit vorgenommen werden, bis der Verlust ausgeglichen werden kann. Die Verrechnung mit dem Gewinnvortrag und den freiwilligen Reserven muss zwingend vorgenommen werden. Weder der Verwaltungsrat noch die Generalversammlung können hierzu ein anderes Vorgehen wählen.
Anders sieht es bei der Verrechnung von Verlusten mit den gesetzlichen Gewinn- und Kapitalreserven aus. Hier kann die Generalversammlung (auf Antrag des Verwaltungsrats oder aber selbständig) von einer Verrechnung absehen und die Verluste auf die nächste Geschäftsperiode vortragen. Dies bedingt einerseits, dass keine verrechnungspflichtigen Gewinnvorträge oder aber freiwillige Reserven mehr existieren, andererseits muss entweder ein «Antrag auf Verlustvortag» vorliegen oder aber zumindest im Protokoll zur Generalversammlung der entsprechende Beschluss festgehalten sein.
Fazit
Der Gesetzgeber hat mit seinen Vorgaben im Rahmen der Gewinnverwendung wie auch der Verlustverrechnung eine deutlich einfachere Anwendung im Gegensatz zu den bisherigen Vorgaben gefunden. Die neu geschaffenen Regeln, vor allem im Bereich der Gewinnverwendung, sind deutlich vereinfacht und lösen teilweise langjährige Fragestellungen klar und eindeutig. Zu beachten ist, dass die Regeln für alle Jahresrechnungen gelten, deren Generalversammlungen nicht bis zum 31. Dezember 2022 durchgeführt worden sind. Es bleibt zu hoffen, dass alle Gesellschaften diese Vorgaben anlässlich ihrer bereits durchgeführten Versammlungen rechtsgültig umgesetzt haben.