Verwirrung um Kapitalbezüge aus der Pensionskasse
Beim Thema Einschränkungen von Pensionskassenbezügen ging es diesen Sommer heiss zu und her. Bundesrat Alain Berset hatte die Diskussion mit einer unbedarften Äusserung zusätzlich angeheizt. Immerhin besteht die berechtigte Hoffnung, dass aus dem hitzigen Hickhack doch noch eine vernünftig temperierte Lösung wird.
Frage
Kann ich von meiner Pensionskasse bald kein Kapital mehr beziehen?
Antwort
In den Sommerferien wurden wir durch Medienberichte über drohende Einschränkungen von Pensionskassenbezügen aufgeschreckt. So veröffentlichte der «Bote der Urschweiz» unter dem Titel «Die zweite Säule ist kein Selbstbedienungsladen» einen Artikel mit Andreas Dummermuth. Darin nannte der Geschäftsleiter der Ausgleichskasse Schwyz Beispiele, wie Personen auf die Pensionierung hin den Kapitalbezug wählten und bei ihm kurz darauf für Ergänzungsleistungen an die Tür klopften. Die Fälle reichten vom notorischen Spieler über den Schnellausgeber bis hin zum Käufer einer Zweitwohnung im Ausland. Dass Vorsorgegelder nicht in erster Linie zu diesen Zwecken angespart werden sollen, leuchtet ja wohl allen ein.
Genau im gleichen Zeitraum erschienen zahlreiche andere Artikel, die sich mit weiteren möglichen Einschränkungen von Kapitalbezügen zwecks Eigenheimerwerb oder -amortisation befassten. So titelte die NZZ in ihrer Ausgabe vom 26. Juni 2014 süffisant: «Weitere regulatorische Knüppel für Hauskäufer.» Auslöser für die vielen Beiträge war eine eher unbedachte Äusserung von Bundesrat Alain Berset zu diesem Thema. Aufgeschreckt durch die hohe Medienwelle krebste er jedoch massiv zurück. So sagte er an einer eigens anberaumten Pressekonferenz: «Sollte der Vorbezug tatsächlich eingeschränkt werden, geschieht dies erst in einigen Jahren und nach breiter Diskussion.» Allerdings war der Schaden in Form einer verunsicherten Schweizer Bevölkerung bereits angerichtet…
Viele Landsleute fragten sich plötzlich: Lohnt sich das Sparen mit der zweiten Säule noch? Werden Kapitalbezüge in wenigen Jahren verunmöglicht? Vereinfacht könnte man diesen Zweifeln mit dem landläufigen Satz begegnen: «Die Suppe wird nicht so heiss gegessen wie sie gekocht wurde.» Doch natürlich greift diese Binsenwahrheit zu kurz. Man muss in der Sache differenzieren; werden hier doch zwei völlig verschiedene Themen behandelt.
Einschränkungen auf die Pensionierung hin
Die ursprüngliche Idee bei Einführung des Pensionskassenobligatoriums 1985 war, dass das angesparte Vermögen später grundsätzlich als Rente bezogen wird. Die folgenden, guten Börsenjahre führten dazu, dass viele Personen einen Teil in Kapitalform zu beziehen wünschten. Sie waren überzeugt, mit ihren Anlagen die bessere Rendite erwirtschaften zu können. Der Gesetzgeber entsprach diesem Ansinnen. Er führte ein, dass auch ein Stück des obligatorischen Teils als Kapital bezogen werden kann. Beträge über das BVG-Obligatorium hinaus konnten schon immer in Kapitalform bezogen werden.
Jeder von uns weiss: Seit Mitte der 1980er Jahre hat sich die Situation auf den Kapitalmärkten drastisch verändert. Nun werden Stimmen laut, die das Rad der Zeit zurückdrehen wollen. Der obligatorische Teil soll nur noch in Rentenform bezogen werden dürfen. Dieses Anliegen ist verständlich. Denn es ist unbestritten, dass in extremen Fällen bezogenes Kapital innert Kürze aufgebraucht, verjubelt und/oder verspekuliert wurde. Darum ist es durchaus nachvollziehbar, hier Barrieren zu diskutieren. Dazu wären aber einschneidende Schritte zur Einschränkung der Kapitalbezüge auf die Pensionierung hin nötig. Aber auch diese Medaille hat zwei Seiten.
Eine Einschränkung von Kapitalbezügen aufs Alter hin heizt den Kampf um den Umwandlungssatz zusätzlich an. Denn sind solche Kapitalauszahlungen nicht mehr möglich, tragen bei den Renten die Pensionskassen das Langleberisiko künftig in noch höherem Masse als jetzt schon! Vor allem im überobligatorischen Bereich würde sich dies spürbar auswirken. Deshalb wird sich die Versicherungslobby im Parlament gegen solche Einschränkungen wehren.
Eingeschränkte Vorbezüge fürs Eigenheim
Im Zusammenhang mit dem Eigenheimerwerb präsentieren sich die Folgen hingegen ganz anders. Denn diesen Vorbezügen steht immer ein Wert, nämlich der Wert der Liegenschaft, gegenüber. Im Unterschied zu den Kapitalbezügen aufs Alter hin besteht hier also kaum die Gefahr, dass das Geld kurzfristig verjubelt wird. Und: Bei einem allfälligen Liegenschaftsverkauf müssen die Bezüge sogar zwangsweise wieder in die Pensionskasse einbezahlt werden.
Ob solche Bezüge zwecks Eigenheimerwerb den Immobilienboom in schädlicher Weise anheizen, darf zumindest bezweifelt werden. Hierfür spielen auch Faktoren wie der Anlagenotstand für institutionelle Anleger oder die seit Jahren anhaltende Tiefzinsphase wohl eine prägendere Rolle. Tatsache ist, dass derzeit zwar Vorsorgegelder für den Wohneigentumserwerb oder die Amortisation von Wohneigentumshypotheken bezogen werden können. Dies ist aber schon heute eingeschränkt. So dürfen Einzahlungen ab Alter 50 nicht mehr dazu verwendet werden. Vielmehr bleiben sie für die Vorsorge im Alter reserviert. Deshalb ist es fragwürdig, ob ein Ausweiten dieser Beschneidung den Immobilienmarkt gross beeinflusst. Übrigens: Auch das Verpfänden dieser Vermögenswerte ist schon heute erlaubt. (Tipp: Meistens ist das Verpfänden dem direkten Bezug vorzuziehen.)
Weitere Einschränkungen von Vorsorgegeldern zwecks Eigenheimerwerb oder -amortisation sind aufgrund der aktuellen politischen Lage kaum mehrheitsfähig. So haben sich letztes Jahr in einer Umfrage sämtliche bürgerlichen Parteien dagegen ausgesprochen. Und sollte sich die Entwicklung im Immobilienbereich wieder einmal abkühlen, werden viele Politiker das Interesse an diesem Thema verlieren. Mit anderen Worten: Politiker interessieren sich nicht für laue Suppen.
Fazit
Bei beiden diskutierten Einschränkungen handelt es sich im heutigen Zeitpunkt eher um Ideen aus der Verwaltung, wie man ein Problem in den Griff bekommen kann. Im politischen Tagesgeschäft haben beide Fragen einen schweren Stand.
- Einschränkungen aufs Alter hin im obligatorischen Bereich sind zwar diskussionswürdig, werden sich politisch aber wohl nicht durchsetzen lassen.
- Weitere Einschränkungen für Vorbezüge zwecks Eigenheimerwerb oder -amortisation sind aufgrund der politischen Kräfteverhältnisse ebenfalls praktisch chancenlos.
Zusammenfassend darf deshalb festgestellt werden, dass der laufende Diskurs zwar gewisse Kreise verunsichert. Die persönliche Planung für die beiden Phasen Vermögensaufbau in der Pensionskasse (Optimierungsmöglichkeiten) sowie Wahl bei Bezug (Kapital oder Rente) sollte aber nicht schon jetzt auf sehr unwahrscheinliche künftige Anpassung ausgerichtet sein.
Optimierungen in Form von Nachzahlungen erfolgen grösstenteils im überobligatorischen Bereich. Er wird durch beide erörterte Massnahmen kaum tangiert. Weiter ist eine Änderung in wenigen Jahren kaum wahrscheinlich. Denn in der Schweiz gilt ja immer noch, dass ein Gesetz zunächst diskutiert, beschlossen und erst dann in Kraft gesetzt wird. Und bis es soweit ist, ist die Suppe vielleicht nicht nur lau, sondern kalt…