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Wahlkampf 2011 mit unlauteren Argumenten?
Am 1.1.2011 wurde im Rahmen der Unternehmenssteuerreform II (USTR II) das Kapitaleinlageprinzip eingeführt. Als die Eidg. Steuerverwaltung im Frühling verlauten liess, man müsse nun mit milliardenhohen Steuerausfällen rechnen, überschlugen sich die Medienmeldungen über die angebliche Irreführung im damaligen Abstimmungskampf. Linke Kreise forderten die Wiederholung der Abstimmung über die USTR II. Auch Bundesräte und Parlamentarier der (wieder)erstarkten Mitteparteien stellten zusätzliche Schranken für Kapitalrückzahlungen im Rahmen der Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts in Aussicht. – Aber ist der vollzogene Systemwechsel wirklich so falsch?
Vor Einführung des Kapitaleinlageprinzips galt jede Rückzahlung von Eigenkapital, die nicht Rückzahlung von Nennwerten darstellt, als steuerbares Einkommen (DBG und VStG), auch wenn dieses nicht aus Gewinnen, sondern aus Einlagen der Gesellschafter stammt (so genanntes Nominalwertprinzip). Neu ist das Zurückzahlen von Kapitaleinlagen (so genanntes Agio) an den Anteilsinhaber steuerfrei, auch wenn es sich nicht um Nennwert handelt. Voraussetzungen sind, dass die Kapitaleinlagen von den Inhabern der Beteiligungsrechte erst nach dem 31.12.1996 geleistet, in der Handelsbilanz separat ausgewiesen und der Bestand und die Veränderungen dieser Reserven der Eidg. Steuerverwaltung formell korrekt gemeldet werden. De facto wurde also vor dem Systemwechsel vom Nominalwert- zum Kapitaleinlageprinzip bereits versteuertes Geld aus steuersystematischen Gründen erneut besteuert. Mit einer Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hatte dies überhaupt nichts gemein. Allein darum ist der Systemwechsel schon richtig.
Es grenzt im Wahlkampf 2011 schon fast an Unlauterkeit, wenn nun behauptet wird, es würden Steuergeschenke in Milliardenhöhe verteilt. Einerseits verzichtet der Fiskus auf eine Steuer, die ohne Systemwechsel in den meisten Fällen gar nicht ausgelöst worden wäre (weil das Agio nicht ausgeschüttet worden wäre). Anderseits sind die in den Medien kolportierten Zahlen über die Höhe der zu erwartenden Mindereinnahmen völlig an den Haaren herbeigezogen. Der Grund ist einfach: Die Steuerfolgen hängen davon ab, wer eine Dividende bzw. die Rückzahlung einer Kapitaleinlage erhält. – Doch niemand weiss, wo die Schweizer Aktienwerte liegen!
Wenn also von steuerlichen Mindereinnahmen gesprochen werden darf, handelt es sich um die Einkommenssteuerfolgen von kurzfristig durch Kapitalrückzahlungen ersetzten Dividendeneinnahmen von in der Schweiz wohnhaften Privatpersonen sowie um die bisher nicht zurückgeforderte Verrechnungssteuer auf Aktien, die schwarz oder durch ausländische Aktionäre gehalten wurden. Aktionäre mit Wohn- oder Geschäftssitz im Ausland bezahlen in der Schweiz ohnehin keine Einkommens- oder Gewinnsteuer. Diese Aktionäre mit Wohn- oder Geschäftssitz in einem Land, das über ein Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz verfügt, können die Verrechnungssteuer ebenfalls vollständig – oder bis zu einem Sockelsteuersatz von maximal 15% – zurückfordern.
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Für alle übrigen Aktionärskreise (z.B. buchführungspflichtige Unternehmen mit Sitz in der Schweiz, Schweizer Pensions-, und Ausgleichskassen sowie andere privilegierte Vorsorgeeinrichtungen) ist es steuerlich einerlei, ob sie Dividenden oder Kapitalrückzahlungen vereinnahmen. Aufgrund dieser grossen Unsicherheiten liessen sich die Steuerfolgen des Systemwechsels unmöglich abschätzen.
Aus steuertechnischer Sicht war das Frühlings-Theater um das Kapitaleinlageprinzip also absolut unverständlich. Es muss darum unterstellt werden, dass dieses ohne Blick auf den Wahlherbst 2011 wohl kaum stattgefunden hätte.
Wir bieten allen Kandidierenden an, sich von unseren Spezialisten über technische Eckpunkte der aktuellen und der künftig geplanten Steuer- und Handelsrechtssetzung informieren zu lassen, damit sie die anstehenden Debatten – nach dem 23.10.2011 hoffentlich als National- bzw. Ständeräte – kompetent und im Interesse einer liberalen und wandlungsfähigen Schweiz führen können. Und Sie, liebe Lesende, fordern wir auf, die Kandidierenden nicht zuletzt auch bezüglich Steuerkompetenz gründlich zu überprüfen.
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