50 Jahre Stockwerkeigentum – ein Erfolgsmodell?
Am 1. Januar 1965 wurde das Stockwerkeigentum (StWE) ins Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) aufgenommen (vgl. Art. 712a ff. ZGB) und feierte darum Anfang Jahr den 50. Geburtstag. Mit diesem Gesetz wurde dem Bedürfnis breiter Bevölkerungskreise – insbesondere dem Mittelstand – für einen erleichterten Zugang zu Wohneigentum oder Geschäftslokalitäten entsprochen. Die gesetzgeberische Stossrichtung hat ihr Ziel grundsätzlich erreicht, auch wenn das StWE im Alltag einige (eliminierbare) Schwachstellen offenbart.
Frage
Welche Vor- und Nachteile hat Stockwerkeigentum?
Antwort
Die stark ansteigende Wohnbevölkerung in der Schweiz, der knapp werdende Wohnraum sowie der geringere Finanzbedarf für den Wohneigentumserwerb haben dem StWE auf dem Immobilienmarkt zu grosser Beliebtheit verholfen und zu einer entsprechend hohen Nachfrage geführt. Die Grafik zur Entwicklung des hiesigen Wohneigentums seit 2003 verdeutlicht diesen positiven Trend. Die wichtigsten Motive, Wohneigentum zu erwerben, sind sicherlich der Kostenvorteil, die Unabhängigkeit und die Vermögensanlage.
Die rechtliche Definition des StWE verschafft dem Erwerber einer zu StWE ausgestalteten Räumlichkeit nicht das nackte Eigentum, sondern bloss das Sonderrecht der ausschliesslichen Benützung daran (vgl. Art. 712a ff. ZGB). Der Erwerber ist Anteilseigner (Miteigentümer) an der gemeinschaftlichen Liegenschaft, also dem Boden, sowie an bestimmten Bauteilen, die von allen Stockwerkeigentümern genutzt und unterhalten werden müssen. Dazu gehören u.a. die Fassade, das Dach, das Treppenhaus bzw. die Liftanlage oder die technischen Einrichtungen wie Heizung und Warmwasseraufbereitung. Interessant ist, dass diese Anteile rund zwei Drittel des gesamten Gebäudes ausmachen.
Gemäss Prof. Dr. David Dürr, Titularprofessor für Privatrecht und Rechtstheorie an der Universität Zürich, kauft man eine Wohnung zum Wohnen (geniessen). Dabei erwirbt man auch einen Anteil an einer Zwangsgemeinschaft (verwalten). Dieses rechtliche Spannungsfeld führt im Alltag häufig zu Konflikten. Zum Zeitpunkt des StWE-Erwerbs ist sich der Käufer dessen häufig nicht bewusst. Er ersteht mit berechtigter Freude das Sonderrecht an einer Stockwerkeinheit. Dass er dadurch gleichzeitig aber auch Miteigentümer an gemeinschaftlichen Gebäudeteilen und -anlagen (und somit Mitglied einer Zwangsgemeinschaft) wird, ist ihm oft nicht bewusst. Diese Tatsache sowie weitere Problempunkte werden im Folgenden kurz beleuchtet.
StWE-Begründung vor Gebäudeerstellung
Damit StWE begründet werden kann, braucht es ein Gebäude (vgl. Art. 712b ZGB). Der Kauf ab Plan birgt allerdings enorme Risiken, die beim Vertragsabschluss für den StWE-Erwerb oft geflissentlich übergangen und/oder verniedlicht werden. Fragen, was bei einem Konkurs des Veräusserers bzw. des Generalunternehmers geschieht, wie es um die Mängelhaftungen bestellt ist, wie es sich bei Projektänderungen verhält, werden allzu gern nur ungenügend durchleuchtet und geregelt. Neben den vertraglichen Defiziten finden sich auch Lücken im Gesetz, das den Erwerber und damit den Konsumenten nicht genügend schützt.
Aufteilung des Gebäudes
Die Aufteilung zu StWE ist ein relativ starres Gebilde. Der Gesetzgeber umschreibt in Art. 712b ZGB klar und zwingend, was nicht zu Sonderrecht ausgeschieden werden kann. Doppel- oder Reihenhäuser lassen sich auch zu StWE ausgestalten. Allerdings können hier Dach und Fassade nicht Bestandteil des Stockwerkeigentums sein, sondern sind – laut Gesetz – gemeinschaftliches Eigentum aller. Eine flexiblere Ausgestaltung, wie das erwähnte vertikale StWE, wäre wünschenswert.
Internes Kräfteverhältnis
In der Regel werden Gemeinschaftsbeschlüsse mehrheitlich gefasst. Es kann jedoch vorkommen, dass Querulanten Entscheide blockieren, vor allem dann, wenn Einstimmigkeit oder spezielle Quoren verlangt sind. Eine parlamentarische Motion von 2012 des damaligen Zürcher FDP-Nationalrats Filippo Leutenegger, die darauf abzielte, die Beschlussfassungsquoren bei Gesamtsanierungen und Ersatzneubauten zu ändern, wurde vom Ständerat am 3. Juli 2014 leider abgelehnt.
Sanierung und Abbruch
Eines der grössten StWE-Probleme ist das Sanieren oder gar Abbrechen des Gebäudes bzw. Teilen davon. Für die Sanierung schreibt das Gesetz zwar einen entsprechenden Erneuerungsfonds vor. Dieser wird jedoch – je nach Regelung – nur bis zu einer festgelegten Höhe (z.B. bis 5% des Brandversicherungswerts) geäufnet. Die Gelder des Erneuerungsfonds reichen daher normalerweise zwar für den Unterhalt, jedoch nicht für eine Sanierung und Erneuerung. Schweizweit stehen immerhin 180‘000 Gebäude mit Wohneinheiten im StWE, die vor 1980 erstellt wurden. Sie müssen in naher Zukunft eher früher als später saniert werden. Die vom Bundesamt für Wohnungswesen 2010 in Auftrag gegebene Studie der Hochschule Luzern «Erneuerungsfonds im Stockwerkeigentum» zeigt auf, dass die meisten StWE-Gemeinschaften davon ausgehen, ihr Erneuerungsfonds werde die Erneuerungskosten nicht decken können. Dies birgt ein extremes Risikopotenzial: Die Gesamtsanierungen könnten in eine finanzielle Sackgasse führen. Die Angst vor den zu erwartenden Kosten, fehlende Eigenmittel oder die mangelnde Möglichkeit, das notwendige Fremdkapital bei Kreditgebern aufzunehmen, verhindern Beschlüsse über bauliche Massnahmen oder führen dazu, dass notwendige Massnahmen auf später (und damit auf andere Stockwerkeigentümer) ver- bzw. abgeschoben werden.
Kommt hinzu, dass gerade bei älteren Liegenschaften die Stockwerkeigentümer oft divergierende Interessen verfolgen. Wie soll die Mitfinanzierung für eine Sanierung von einem neuen Stockwerkeigentümer, der gerade eine Räumlichkeit unter Verwendung von ausreichend Eigenmitteln und einer entsprechenden Fremdfinanzierung erworben hat, schmackhaft gemacht werden? Wie kann er sie finanzieren? Oder: Wie hoch ist das Sanierungsinteresse eines betagten Stockwerkeigentümers, der schon seit Jahrzehnten in seiner Eigentumswohnung lebt? Wie kann er ein solches Vorhaben finanzieren?
Selbstverständlich können gemeinschaftliche Kosten auch auf dem Weg der Zwangsverwertung eingetrieben werden. Dieses Praxis ist aber umständlich, langwierig und daher auch teuer. Zudem trägt die zwangsweise Eintreibung der Gelder erfahrungsgemäss nicht gerade zur Verbesserung des Hausfriedens bei.
Es führt kein Weg daran vorbei: Eine langfristige StWE-Sanierungsplanung tut not! Selbst wenn eine (Stockwerkeigentümer-)Gemeinschaft grundsätzlich frei entscheiden können muss und eine langfristige Bindung von Kapital in einem Erneuerungsfonds nicht beliebt ist, wird der Gesetzgeber über kurz oder lang nicht darum herum kommen, verbindliche Regeln für das Schaffen und Äufnen von Erneuerungsfonds aufzustellen.
Zum gleichen Problemkreis zählt zudem der Abbruch eines Gebäudes. Auch hier bietet der Gesetzgeber keine Lösungen. Spätestens nach 100 Bestandesjahren, oft schon vorher, drängt sich das Thema aber unweigerlich auf. Sind Werterhaltung und Markttauglichkeit der Baute und damit der Stockwerkeinheiten nicht mehr gewährleistet, fordert dies die damit konfrontierten StWE-Gemeinschaften in ihrer Entscheidungsfindung und die einzelnen Eigentümer mit ihren finanziellen Rücklagen.
Auch wenn die meisten Liegenschaften und Bauten, an denen StWE begründet wurde, noch Jahre von einer Gesamtsanierung entfernt sind: Schneller als gedacht ist eine (langfristige) Sanierungsplanung unumgänglich. Hier sind insbesondere die Verwaltungen und die einzelnen Stockwerkeigentümer gefordert. Unter diesem Aspekt weisen Experten auch darauf hin, dass das StWE die Nagelprobe erst noch zu bestehen hat.
StWE – ein Erfolgsmodell mit eliminierbaren Schwachstellen
* Die Zahl der Eigentümer von Wohnungen und Einfamilienhäusern in der Schweiz hat seit 2003 deutlich zugenommen. (Quelle: Wüest & Partner AG)