Das neue Verjährungsrecht
Das neue Verjährungsrecht tritt am 1. Januar 2020 in Kraft. Damit geht ein über zehn Jahre andauerndes Gesetzgebungsprojekt zu Ende. Das privatrechtliche Verjährungsrecht wird nicht vereinheitlicht. Am bisherigen Recht werden punktuelle Anpassungen und Verbesserungen vorgenommen und Unklarheiten bereinigt. Wichtige Elemente der Vorlage sind die Verlängerung der kurzen relativen Verjährungsfrist für Forderungen aus dem Delikts- oder Bereicherungsrecht von einem Jahr auf drei Jahre sowie die Schaffung einer neuen 20-jährigen (im Vorentwurf noch 30-jährigen) absoluten Verjährungsfrist für Personenschäden.
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Frage
Was ändert mit dem neuen Verjährungsrecht?
Antwort
Unter Verjährung versteht man die Entkräftung einer Forderung durch Zeitablauf. Mit Eintritt der Verjährung geht der Anspruch zwar nicht unter, die Forderung kann aber nicht mehr gerichtlich durchgesetzt werden. Die gerichtliche Durchsetzung der Forderung kann vom Schuldner mit der Einrede der Verjährung vereitelt werden (Leistungsverweigerungsrecht). In den meisten Fällen kommt das einem Untergang des Anspruchs gleich.
Für viele Forderungen bestehen (kurze) relative und (lange) absolute Verjährungsfristen. Mit der relativen Verjährungsfrist wird die (in der Regel ein- bis dreijährige) Frist bezeichnet, innert derer der Geschädigte seit Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen seinen Anspruch geltend machen muss. Mit der absoluten Verjährungsfrist wird der Zeitraum seit dem Schadensereignis bezeichnet (in der Regel 10, 20 oder 30 Jahre). Eine Forderung ist verjährt, wenn entweder die relative oder die absolute Verjährungsfrist oder beide eingetreten sind.
Deliktshaftung
Bei der Haftung aus unerlaubter Handlung (Delikt) beträgt die relative Verjährungsfrist bisher ein Jahr und neu (ab 1.1.2020) drei Jahre vom Tag an gerechnet, ab welchem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat. Die absolute Verjährungsfrist beträgt wie bis anhin zehn Jahre. Bei Tötung eines Menschen oder bei Körperverletzung besteht neu eine absolute Verjährungsfrist von 20 Jahren, vom Tag an gerechnet, an dem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte (Art. 60 Abs. 1bis E-OR); mit dem Einschub «oder aufhörte» wird neu gesetzlich verankert, dass es Fälle gibt, in denen die Schädigung wiederholt eintritt oder in einer dauerhaften Handlung besteht. Auch eine Unterlassung kann anspruchsbegründend und fristauslösend sein; massgebend ist dabei der Zeitpunkt, an dem die ersatzpflichtige Person spätestens hätte handeln sollen. Mit der Verlängerung der absoluten Verjährungsfrist auf 20 Jahre wird insbesondere dem Umstand Rechnung getragen, dass vor allem bei Körperverletzungen und Gesundheitsschäden nach dem schädigenden Ereignis längere Latenzperioden auftreten können, bevor der Schaden entsteht oder erkannt wird. Ein bekanntes Beispiel ist der Fall Howald Moor vs. Schweiz: Die asbestbedingten Schäden haben am 11. März 2014 zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und auch zu parlamentarischen Diskussionen geführt.
Für zivilrechtliche Forderungen infolge schädigender strafbarer Handlung gilt weiterhin die längere strafrechtliche Verfolgungsverjährungsfrist. Diese Frist konnte bis anhin während des laufenden Strafprozesses ablaufen. Die Neuregelung sieht vor, dass die zivilrechtliche Forderung frühestens drei Jahre nach der Urteilseröffnung verjährt. Damit kann der Geschädigte die Erkenntnisse aus dem Strafverfahren in die Beurteilung der Prozessaussichten seiner Zivilansprüche miteinbeziehen.
Ungerechtfertigte Bereicherung
Die relative Verjährungsfrist für Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung wird von einem Jahr auf drei Jahre verlängert. Die absolute Verjährungsfrist beträgt weiterhin zehn Jahre.
Vertragshaftung
Unverändert bleibt der bekannte Grundsatz, dass mit Ablauf von zehn Jahren alle zivilrechtlichen Forderungen verjähren, für die das Bundeszivilrecht nichts anderes vorschreibt (Art. 127 OR). Ebenfalls unverändert bleibt die Verjährungsfrist von fünf Jahren für Forderungen für Miet-, Pacht- und Kapitalzinsen, Handwerksarbeiten und Berufsarbeiten von Anwälten sowie Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern (Art. 128 OR). Die Verjährung beginnt weiterhin mit der Fälligkeit der Forderung (Art. 130 Abs. 1 OR). Mit dem neu geschaffenen Art. 128a OR werden jedoch für Forderungen aus Schadenersatz oder Genugtuung aus vertragswidriger Körperverletzung oder Tötung eines Menschen die gleichen relativen (3 Jahre) und absoluten (20 Jahre) Verjährungsfristen eingeführt, wie bei der Deliktshaftung.
Verjährungshemmung
Bisher gilt, dass eine Verjährung nicht beginnt und still steht, solange eine Forderung vor einem schweizerischen Gericht nicht geltend gemacht werden kann. Zusätzlich wird neu vorausgesetzt, dass die Geltendmachung der Forderung auch vor ausländischen Gerichten und Schiedsgerichten objektiv unmöglich ist. Eingeführt wird ausserdem neu die Verjährungshemmung für Forderungen des Erblassers oder gegen diesen
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während der Dauer des öffentlichen Inventars sowie
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während der Dauer von Vergleichsgesprächen, eines Mediationsverfahrens oder anderer Verfahren zur aussergerichtlichen Streitbeilegung,
sofern die Parteien dies schriftlich vereinbaren.
Neu wirkt die Unterbrechung gegenüber dem Versicherer auch gegenüber dem Haftpflichtigen und umgekehrt, sofern ein direktes Forderungsrecht gegen den Versicherer besteht. Die Unterbrechung gegenüber dem Versicherer wirkt jedoch gegenüber dem Haftpflichtigen nur bis zur Höhe der Versicherungsdeckung für den Geschädigten.
Verjährungsverzicht
Der Gläubiger einer Forderung kann die Verjährung durch eine Betreibung oder durch ein Gesuch an die Schlichtungsstelle unterbrechen. Geht es allerdings nur darum, den Eintritt der Verjährung zu verhindern, ist es zumeist sinnvoller, sich vom Schuldner eine Verjährungsverzichtserklärung unterzeichnen zu lassen. Darin erklärt der Schuldner seinen Verzicht auf die Einrede der Verjährung in Bezug auf die strittigen Ansprüche. Beide Parteien haben Interesse an einer solchen Vereinbarung, weil zur Verjährungsunterbrechung keine Betreibung eingeleitet oder ein Schlichtungsgesuch gestellt werden muss. Neu sieht Art. 141 E-OR für solche Vereinbarungen zwingend die schriftliche Form voraus. Zudem ist es nicht mehr möglich, auf die Verjährung «zum voraus», d.h. bevor die Verjährung zu laufen beginnt, zu verzichten (Art. 141 Abs. 1 E-OR).
In Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) kann nur der Verwender, nicht aber die andere Vertragspartei auf die Erhebung der Verjährungseinrede verzichten (Art. 141 Abs. 1bis E-OR).
Die Maximaldauer des Verzichts beträgt zehn Jahre. Bereits vor Ablauf kann aber eine weitere Verzichtserklärung von wiederum maximal zehn Jahren eingeholt werden.
Verantwortlichkeitsklagen
Schadenersatzforderungen gegen die verantwortlichen Personen von Aktiengesellschaften und Genossenschaften verjähren wie bis anhin in fünf Jahren von dem Tag an, an dem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat (relative Verjährungsfrist), jedenfalls aber mit Ablauf von zehn Jahren (absolute Verjährungsfrist). Die Neuregelung stellt neu klar, dass die Verjährung im Zeitpunkt beginnt, in welchem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte. Für die Verantwortlichkeitsklagen gelten neu ebenfalls die eventuell längeren strafrechtlichen Verfolgungsverjährungsfristen.
Verjährt bleibt verjährt
Bestimmt das neue Recht eine längere Frist als das bisherige Recht, so gilt das neue Recht, sofern die Verjährung nach bisherigem Recht noch nicht eingetreten ist (SchlT ZGB Art. 49). Forderungen, die bis 31. Dezember 2019 bereits verjährt sind, bleiben verjährt. Sieht das neue Recht kürzere Verjährungsfristen vor, so gilt das bisherige Recht. Der Beginn einer bereits laufenden Verjährungsfrist wird durch das Inkrafttreten des neuen Rechts nicht berührt. Abgeschlossene Verjährungsverzichtserklärungen bleiben damit gültig, auch wenn sie den Anforderungen des neuen Rechts nicht genügen.