Elektronisches Betreibungsverfahren - was ist heute bereits möglich?
Die meisten Unternehmen sind früher oder später einmal mit mangelnder Zahlungsbereitschaft ihrer Kunden konfrontiert. Als letzte Möglichkeit bleibt häufig nur noch die Betreibung des Säumigen. Neue elektronische Hilfsmittel haben in den letzten Jahren zur weiteren Vereinfachung des betreibungsrechtlichen Einleitungsverfahrens beigetragen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über das Betreibungsverfahren und was bei der Verwendung elektronischer Hilfsmittel beachtet werden muss.
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Frage
Was ist ein Betreibungsverfahren und wie läuft es ab?
Antwort
Das Betreibungsverfahren ist das Verfahren zur Vollstreckung einzelner Geldforderungen in der Schweiz nach dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG). Es lässt sich einteilen in das Einleitungs- und das daran anschliessende Vollstreckungsverfahren. Mit dem Einleitungsverfahren wird die Vollstreckung des in Betreibung gesetzten Anspruchs abgeklärt. Das Einleitungsverfahren lässt sich einteilen in Betreibungsbegehren, Zahlungsbefehl, Rechtsvorschlag und Rechtsöffnung.
Betreibungsbegehren
Eingeleitet wird die Betreibung durch das Einreichen des Betreibungsbegehrens beim Betreibungsamt am Wohnsitz der natürlichen Person oder am Sitz der juristischen Person, die betrieben werden soll. Das Betreibungsamt wird vom Gläubiger aufgefordert, gegen einen bestimmten Schuldner ein Betreibungsverfahren einzuleiten. Besondere Einleitungsverfahren ergeben sich bei
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der Betreibung auf Pfandverwertung,
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der Wechselbetreibung oder
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der Betreibung gestützt auf einen Konkursverlustschein
Im Betreibungsbegehren müssen
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Name und Wohnort des Gläubigers und Schuldners,
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die Forderungssumme in Schweizer Franken und
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der Forderungsgrund bzw. die Forderungsurkunde (falls vorhanden)
angegeben werden. Das Betreibungsbegehren kann mündlich oder schriftlich gestellt werden. Eine Begründung ist nicht notwendig.
Betreibungskosten
Die Kosten für eine Betreibung, welche vom Gläubiger vorgeschossen werden müssen, sind von der Höhe der betriebenen Forderung abhängig. Gemäss Art. 16 der Gebührenverordnung SchKG beträgt die Gebühr 20 Franken für in Betreibung gesetzte Forderungen ab 100 bis 500 Franken und maximal 400 Franken für Forderungen von über eine Million Franken. Für eine Forderung von über 1000 bis 10’000 Franken beträgt die Gebühr 60 Franken.
Zahlungsbefehl und Rechtsvorschlag
Nach Erhalt des Betreibungsbegehrens stellt das Betreibungsamt dem Schuldner den Zahlungsbefehl zu. Der Zahlungsbefehl ist die an den Schuldner gerichtete Aufforderung, die betriebene Forderung samt Betreibungskosten zu bezahlen oder sich der Betreibung zu widersetzen. Letzterer Fall bezeichnet den sogenannten Rechtsvorschlag. Dieser muss gegenüber dem Betreibungsamt innert zehn Tagen nach der Zustellung des Zahlungsbefehls schriftlich oder mündlich erhoben werden. Aus dem Rechtsvorschlag muss lediglich hervorgehen, dass der Schuldner die Forderung bestreitet. Eine Begründung ist nicht erforderlich.
Exkurs ungerechtfertigte Betreibung
Viele Betreibungsverfahren enden mit dem Rechtsvorschlag, weil viele Gläubiger den Aufwand zur Beseitigung des Rechtsvorschlags scheuen. Da in der Schweiz grundsätzlich jeder jeden betreiben kann und die Gebühr dafür relativ tief ist, werden zuweilen auch ungerechtfertigte Betreibungen eingeleitet. Hier hat der Gesetzgeber mit einer Gesetzesänderung seit Anfang 2019 für Abhilfe gesorgt. Wird jemand ungerechtfertigt betrieben und unternimmt der Gläubiger keine Schritte, den Rechtsvorschlag zu beseitigen, so kann der Betriebene innerhalb von drei Monaten seit Zustellung des Zahlungsbefehls vom Betreibungsamt verlangen, Dritten die Betreibung nicht mitzuteilen. In diesem Fall gibt das Betreibungsamt dem Gläubiger eine Frist von 20 Tagen, innert der er den Nachweis erbringen kann, dass er ein Verfahren zur Beseitigung des Rechtsvorschlages eingeleitet hat.
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Rechtsöffnung
Hat der Schuldner Rechtsvorschlag erhoben, muss der Gläubiger diesen auf dem Gerichtsweg beseitigen lassen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Rechtsöffnung. Welches Gerichtsverfahren hier zur Anwendung kommt, hängt massgeblich von der Art und Form des Forderungstitels ab.
Es wird zwischen definitiver und provisorischer Rechtsöffnung unterschieden.
Beide Rechtsöffnungsverfahren sind als schnelle (summarische) Verfahren ohne vorgängige Schlichtungsverhandlung vorgesehen. Sie sind in der Regel kostengünstiger als ordentliche Gerichtsverfahren.
Beruht die Forderung auf einem vollstreckbaren Entscheid eines schweizerischen Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde, kann der Gläubiger den Weg der sogenannten definitiven Rechtsöffnung einschlagen. Krankenkassen und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts können den Rechtsvorschlag gegen die in Betreibung gesetzte Prämienforderungen mittels Verfügung oder Einspracheentscheid selber beseitigen.
Das provisorische Rechtsöffnungsverfahren ist für «liquide», d. h. schnell beweisbare Ansprüche konzipiert. Vorausgesetzt ist entweder eine durch öffentliche Urkunde festgestellte oder durch Unterschrift bekräftigte Schuldanerkennung. Die Schuldanerkennung muss eigenhändig unterzeichnet sein und aus ihr muss der genaue Betrag hervorgehen, der geschuldet ist. Eine ungefähre Kostenschätzung reicht nicht aus.
Elektronische Unterschrift und Rechtsöffnung
Digitale Kommunikationsmittel nehmen sowohl im Privat- als auch im Geschäftsverkehr stetig zu. Verträge werden häufig gar nicht mehr auf Papier, sondern nur noch elektronisch abgeschlossen. Das provisorische Rechtsöffnungsverfahren, welches auf unterzeichnete schriftliche Verträge ausgerichtet ist, verhilft hier häufig nicht zum Ziel. In solchen Fällen bleibt dem Gläubiger entweder der Rechtsschutz in klaren Fällen (ein weiteres rasches Verfahren) oder als letzter Weg die Anerkennungsklage im ordentlichen Verfahren. Hier ist vorgängig meistens eine Schlichtungsverhandlung notwendig.
Wer nicht auf die Vorteile elektronischer Abschlüsse von Verträgen verzichten will, die auch vor Gericht als eigenhändig unterzeichnet gelten, sollte sich die Anschaffung einer elektronischen Signatur überlegen. Rechtsgrundlage hierfür ist Art.14 Abs. 2bis OR. Die qualifizierte elektronische Signatur ist der eigenhändigen Unterschrift gleichgestellt, wenn sie auf einem qualifizierten Zertifikat einer anerkannten Anbieterin von Zertifizierungsdiensten im Sinne des Bundesgesetzes über die elektronische Signatur (ZertES sowie Ausführungsverordnung VZertES) beruht. Ein solcher Vertrag gilt aber nur dann als Schuldanerkennungstitel für die provisorische Rechtsöffnung, wenn der Schuldner ebenfalls via elektronische Signatur unterzeichnet.
Ist die elektronische Signatur einmal eingerichtet, so können auch die gerichtlichen Eingaben im Rechtsöffnungsverfahren elektronisch eingereicht werden. Damit lässt sich das ganze schuldrechtliche Einleitungsverfahren elektronisch abwickeln.
eSchKG
eSchKG bezeichnet den vom Bundesamt für Justiz in Zusammenarbeit mit Partnern aus Verwaltung (Betreibungs und Konkursämtern) und Privatwirtschaft entwickelten Standard für den elektronischen Austausch von Geschäftsdaten im Schuldbetreibungs und Konkurswesen. Für die Aufnahme in den eSchKG-Verbund wird eine einmalige Aufschaltgebühr von 500 Franken (Art. 15a Abs. 3 GebV SchKG) fällig, danach fallen jährlich wiederkehrende Teilnahmegebühren von 200 Franken sowie Kosten pro Betreibungsfall bzw. -auskunft an. Der Hauptvorteil von eSchKG liegt in der Zeit- und Kostenersparnis, die durch die Automatisierung der Routinevorgänge und den papier- und portofreien Austausch mit den Betreibungsämtern erreicht wird. Ende 2019 waren alle 406 Betreibungsämter der Schweiz sowie 502 Gläubiger (Gemeinde und Verwaltungen, Krankenkassen, Spitäler, Verbände, Inkassogesellschaften etc.) im eSchKG-Verbund aktiv. Von den rund 3,1 Millionen Betreibungsbegehren, die in der Schweiz im Jahr 2018 gestellt wurden, erfolgten bereits 54.93% (1,67 Mio.) über eSchKG, die Tendenz ist steigend.
Online-Betreibungsschalter
Über den vom Bund, den Kantonen und den Gemeinden unterstützten Online Schalter EasyGoV können kleinere und mittlere Unternehmen Betreibungsbegehren online ausfüllen, das richtige Betreibungsamt finden oder Betreibungsauskünfte einholen. Dafür muss sich das Unternehmen vorgängig bei EasyGoV registrieren lassen. Um Betreibungsbegehren auch online schicken zu können, müssen die Voraussetzungen für die elektronische Signatur erfüllt sein.
Fazit
Mit eSchKG sowie der elektronischen Signatur stehen Hilfsmittel zur Verfügung, mit denen das Einleitungsverfahren (Betreibung und Rechtsöffnung) voll elektronisch abgewickelt werden kann. Bislang machen davon vor allem Unternehmen Gebrauch, die das Inkasso als Massengeschäft betreiben. Da die Kosten von eSchKG und der elektronischen Signatur verhältnismässig gering sind, sollten auch kleinere bis mittlere Unternehmen deren Anschaffung in Betracht ziehen.