Freie Mitarbeitende - Risiken und Stolpersteine
In der Schweiz gibt es keine gesetzliche Definition, ob «freie Mitarbeitende» Selbständigerwerbende oder Arbeitnehmende sind. Zwar gibt es Gerichtsurteile, die Einzelfälle beurteilen, eine grundsätzliche Aussage gibt es allerdings nicht. Eine klare Unterscheidung ist in der Praxis oft schwierig. Im Zweifelsfall tendiert man daher zur Qualifikation als «unselbständige Tätigkeit». So will der Staat verhindern, dass zu versichernde Personen durch die Maschen des Systems fallen.
Frage
Warum ist die Unterscheidung zwischen «freien Mitarbeitenden» und Arbeitnehmenden wichtig? Warum können die involvierten Personen den Status nicht frei bestimmen?
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Antwort
Der Einsatz von «freien Mitarbeitenden» (auch Freelancer, Selbständigerwerbende, Einzelfirmen etc.) ist für Arbeitgebende eine interessante Option. So können gezielte, projektspezifische Ressourcen ins Unternehmen geholt oder kurzfristig personelle Kapazitäten im Unternehmen erhöht werden, ohne die Pflichten als Arbeitgebende erfüllen zu müssen und sich an diese Personen zu binden. Bei der Einstellung von Mitarbeitenden müssen Arbeitgebende diese bei den Sozialversicherungen anmelden. Bei Krankheit, Unfall oder Mutterschaft ist eine Lohnfortzahlung geschuldet. Zudem müssen Kündigungsfristen eingehalten werden.
Merkmale der selbständigen Tätigkeit
Als sozialversicherungsrechtlich selbständigerwerbend gilt, wer in unabhängiger Stellung und auf eigenes wirtschaftliches Risiko Arbeit leistet
Unabhängige Stellung
Sozialversicherungsrechtlich selbständig Erwerbstätige müssen sich typischerweise höchstens an fachliche Weisungen halten (z.B. Fälligkeitstermine für die Ablieferung von Werken oder Dienstleistungen). Ferner sind Selbständigerwerbende unabhängig bezüglich Arbeitszeit und Arbeitsorganisation. Diese können sie frei und nach ihrem Gutdünken gestalten. So üben sie ihre Tätigkeit insbesondere nach einem von ihnen selbst bestimmten Zeitplan und mit eigenen Mitteln aus.
Eigenes wirtschaftliches Risiko
Selbständigerwerbende handeln in eigenem Namen und auf eigene Rechnung. Nach der Rechtsprechung zeigt sich dieses Unternehmerrisiko in
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bedeutenden Investitionen,
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massgeblichem Kapitaleinsatz,
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der Deckung von Unkosten wie Miete,
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dem Einsatz von eigenem Personal sowie
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im Tragen von Verlusten aus der Zahlungsunfähigkeit von Kunden oder aus Mängeln bei erfolgten Lieferungen oder erbrachten Dienstleistungen.
Auftritt nach aussen
Ein wesentliches Merkmal für die Selbständigkeit ist die regelmässige Übernahme von Drittaufträgen von verschiedenen Auftraggebenden. Wichtige Hinweise dafür sind unter anderem der Auftritt nach aussen durch einen Eintrag im Handelsregister, eine eigene Homepage, ein eigenes Logo und eigenes Briefpapier sowie Inserate zur Beschaffung von Aufträgen.
Merkmale der unselbständigen Tätigkeit
Als sozialversicherungsrechtlich unselbständigerwerbend gilt, wer in untergeordneter Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit Arbeit leistet, ohne ein wirtschaftliches Risiko zu tragen.
Untergeordnete Stellung
Diese Stellung zeigt sich in der Weisungsgebundenheit der Erwerbstätigen, die mit einer Rechenschaftspflicht einhergeht und/oder in deren Eingliederung in eine fremde Organisation. Weisungsgebende bestimmen weitgehend, wann, wie und wo zugearbeitet werden muss; sie verfügen über die Arbeitskraft für ihre Zwecke und Bedürfnisse. In einem typischen Abhängigkeits- und Unterordnungsverhältnis muss die Arbeitskraft
Bestimmte oder unbestimmte Zeit
Die Dauer ist in diesem Kontext ein Begriff von geringerer Bedeutung. Eine unselbständige Erwerbstätigkeit kann bereits bei ganz kurzer Arbeitsdauer vorliegen.
Arbeitsleistung
Im sozialversicherungsrechtlichen Sinn ist die Arbeitsleistung das wesentliche Merkmal und Hauptelement der Erwerbstätigkeit. Folglich wird darunter nur die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit verstanden, die auf ein Einkommen abzielt.
Führt ein schriftlicher Arbeitsvertrag (Arbeitsrecht) oder eine Auftragsvereinbarung (Auftragsrecht) zu Klarheit?
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung geben die zivilrechtlichen Verhältnisse allenfalls gewisse Anhaltspunkte für die sozialversicherungsrechtliche Qualifikation, sie sind jedoch nicht ausschlaggebend. Entscheidend ist nicht die Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien, sondern vielmehr die wirtschaftliche Gegebenheit. Somit gelten Personen, die beispielsweise aufgrund eines Werkvertrages oder eines Auftrages tätig werden, sozialversicherungsrechtlich nicht ohne Weiteres als selbständigerwerbend.
Die «Scheinselbständigkeit»
Eine Scheinselbständigkeit liegt vor, wenn Erwerbstätige formal als Selbständige arbeiten, tatsächlich aber ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Die Scheinselbständigkeit ist im Visier der Behörden, da die «schwächere» Partei vor Missbrauch geschützt werden soll. Es geht hier um die soziale Sicherheit und die Altersvorsorge, aber auch um die Gewährung von Ferien.
Risiko
Das Schweizer Recht geht grundsätzlich davon aus, dass die Arbeitnehmerin resp. der Arbeitnehmer die «schwächere» Partei ist. Aufgrund ihrer Sorgfaltspflicht müssen Arbeitgebende den Beziehungsstatus festlegen. Damit müssen sie für Fehler in der Beurteilung einstehen und allfällige Schäden tragen. Auftragnehmende können somit zum Risiko für ein Unternehmen werden.
Eine fehlerhafte Beurteilung eines Auftrags- respektive Arbeitsverhältnisses kann teuer werden, insbesondere wenn ein Schadenfall eintritt.
Beispiel:
Infolge eines Unfalls tritt eine Invalidität ein. Die Unfallversicherung des «freien Mitarbeiters» will jedoch nicht bezahlen, weil aus ihrer Sicht ein Arbeitsverhältnis und somit keine Versicherungsdeckung besteht. Auch die Unfallversicherung der Auftraggeberin (bzw. nach Beurteilung der Unfallversicherung des «freien Mitarbeiters» der Arbeitgeberin) will den Schaden nicht übernehmen, da der entsprechende Lohn während Jahren nicht deklariert wurde.
Mit der Umqualifikation des Honorars in Lohn und der rückwirkenden Erstellung eines Arbeitsvertrags kann bei Arbeitgebenden ein grosser administrativer und finanzieller Aufwand entstehen. Die Konsequenzen steigen, wenn das vermeintliche Arbeitsverhältnis schon seit Jahren bestanden hat. Dann müssen nämlich sämtliche Sozialversicherungen rückwirkend abgerechnet werden. Der Arbeitnehmeranteil kann bei der betroffenen Person oftmals nicht mehr eingefordert werden. Weiter kann eine entsprechende Rückabwicklung von Honorar in Lohn unter anderem auch Fragen bezüglich Ferienanrecht und Quellensteuer aufwerfen.
Tipp für die Praxis
Auftraggebende sollten vor Auftragsbeginn den Status der Leistungserbringenden beurteilen. Bei unklaren Verhältnissen sollten die «freien Mitarbeitenden» (Auftragnehmenden) unbedingt vor Auftragsbeginn ihren Auftraggebenden den schriftlichen Nachweis der AHV-Ausgleichskasse vorlegen. So beweisen sie, dass sie als Selbständigerwerbende für die konkrete und angemeldete Tätigkeit anerkannt sind. Kann die AHV-Anschlussbestätigung nicht vorgelegt und der Status nicht zweifelsfrei bereinigt werden, sollten die Sozialversicherungs- und Quellensteuerabzüge vorgenommen werden, bis die AHV-Anschlussbestätigung vorliegt. Die Rückzahlung dieser Abzüge kann einfacher abgewickelt werden als eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen.
Selbständigerwerbende (Auftragnehmende) können allenfalls durch Gründung oder Umwandlung einer Personengesellschaft in eine AG oder GmbH Klarheit schaffen. Dann müssen sie ihre Selbständigkeit gegenüber ihren Auftraggebenden nicht belegen.