Kapitaleinlagereserven und Emissionsabgabe bei Sanierungen
Die Behandlung von Sanierungsbeträgen bei der Emissionsabgabe und der Verrechnungssteuer gehört zu den umstrittenen Fragen im Steuerrecht. Ein laufendes Bundesgerichtsverfahren könnte hier Klarheit schaffen.
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Frage
Müssen Verluste bei einer Sanierung ausgebucht werden?
Antwort
Im Bereich der Unternehmensfinanzierung von KMU gibt es zwei wichtige steuerliche Bestimmungen:
Kapitaleinlagereserven
Die Rückzahlung von Reserven aus Kapitaleinlagen, die von den Inhabern der Beteiligungsrechte nach dem 31. Dezember 1996 geleistet worden sind, können nach Art. 5 Abs. 1bis des Verrechnungssteuergesetzes (VStG) verrechnungssteuerfrei zurückbezahlt werden, wenn
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die Reserven aus Kapitaleinlagen von der Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft in der Handelsbilanz auf einem gesonderten Konto ausgewiesen werden und
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die Gesellschaft oder Genossenschaft jede Veränderung auf diesem Konto der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) meldet.
Die Rückzahlung solcher Kapitaleinlagereserven ist auch auf Stufe des Beteiligungsinhabers einkommenssteuerfrei.
Emmissionsabgabe
Kapitaleinlagen von direkten Gesellschafter/-innen in Form von Kapitalerhöhungen, À-fonds-perdu-Beiträgen oder Forderungsverzichten unterliegen im Grundsatz der Emissionsabgabe von 1%.
Kapitaleinlagen von indirekt Beteiligten, beispielsweise der Grossmuttergesellschaft, unterliegen in der Regel nicht der Emissionsabgabe und können auch nicht als Kapitaleinlagereserven gemeldet werden.
Allerdings bestehen zur Emissionsabgabepflicht zwei Ausnahmen:
Nach Art. 6 Abs.1 lit. k des Stempelsteuergesetzes (StG) ist eine offene oder stille Sanierung von der Emissionsabgabe ausgenommen, soweit nach der Praxis der ESTV die nachstehenden Tatbestandselemente kumulativ erfüllt sind:
a) Sanierung
Es muss eine offene oder stille Sanierung vorliegen. Als offene Sanierungen gelten Herabsetzungen des Grund- oder Stammkapitals einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft mit anschliessender (in der Regel gleichzeitiger) Wiedererhöhung (oder Kapitalerhöhungen mit zeitgleicher Herabsetzung) bis maximal zur Höhe des ursprünglichen Kapitals. Als stille Sanierungen gelten Zuschüsse (À-fonds-perdu-Beiträge oder Forderungsverzichte), die zur Abdeckung von Verlusten führen. Eine Sanierungsbedürftigkeit der Gesellschaft, d.h. eine Überschuldung im Sinne von Art. 725 Abs. 2 OR, wird dabei nicht vorausgesetzt.
b) Beseitigung bestehender Verluste
Vorhandene Verluste müssen ganz oder teilweise beseitigt werden. Eine vollständige Beseitigung der Verluste durch die Sanierungsbeiträge wird damit nicht vorausgesetzt. Allerdings ist nach der Praxis der ESTV die Verrechnung der Zuschüsse mit den bestehenden Verlusten zwingend.
c) Leistungen der Gesellschafter/-innen oder Genossenschafter/-innen von gesamthaft CHF 10 Mio.
Bei offenen oder stillen Sanierungen sind die Leistungen der Gesellschafter/-innen oder Genossenschafter/-innen, welche den Betrag von gesamthaft CHF 10 Mio. nicht übersteigen, von der Emissionsabgabe ausgenommen. Für die Berechnung des Freibetrags werden alle Sanierungsleistungen seit 1. Januar 2009 zusammengezählt. Frühere Sanierungsleistungen werden nicht mitgerechnet. Der Freibetrag von CHF 10 Mio. ist einmalig, kann sich aber auf mehrere Sanierungen aufteilen.
Wird der Freibetrag von CHF 10 Mio. überschritten, ist ein Erlass der Emissionsabgabe gemäss Art. 12 StG auf den den Freibetrag übersteigenden Sanierungsleistungen möglich. Für die Gewährung des vollständigen oder teilweisen Erlasses der Emissionsabgabe muss eine offene oder stille Sanierung vorliegen und die Erhebung der Emissionsabgabe für die sanierungsbedürftige Gesellschaft eine offenbare Härte bedeuten. Nach gegenwärtiger Praxis der ESTV sind die Voraussetzungen für den Erlass erfüllt, wenn
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anlässlich der Sanierung Verluste beseitigt werden;
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es sich um eine nachhaltige Sanierung handelt, das heisst, der verbleibende Verlust darf das Grundkapital nicht mehr übersteigen;
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keine Reserven (offene oder stille) mehr bestehen;
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die Gesellschaft vor der Sanierung mit genügend Eigenkapital ausgestattet war. In der Regel ist das erforderliche Mindestkapital nach den im Kreisschreiben ESTV Nr. 6 vom 6. Juni 1997 für die direkte Bundessteuer («Verdecktes Eigenkapital (Art. 65 und 75 DBG) bei Kapitalgesellschaften und Genossenschaften») aufgeführten Ansätzen zu berechnen (Differenz zwischen 100% und den maximal zulässigen fremden Mitteln). Grundsätzlich müssen die letzten drei Jahresrechnungen vor der Sanierung verwendet werden. Der sich daraus ergebende Mittelwert muss mit dem der Emissionsabgabe unterworfenen Eigenkapital (Emissionsabgabe entrichtet oder befreit infolge Umstrukturierung) im betreffenden Zeitraum gegenübergestellt werden. Den Nachweis muss die abgabepflichtige Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft erbringen;
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keine Übersanierung vorliegt (Bildung von offenen und/oder stillen Reserven, die insgesamt den ausgebuchten Verlustvortrag übersteigen);
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die ausgewiesenen Verluste, das heisst die Sanierungsbedürftigkeit, nicht auf die Vornahme von verdeckten Gewinnausschüttungen zurückzuführen sind;
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die Gesellschaft im Zeitpunkt der Sanierung nicht inaktiv, das heisst wirtschaftlich liquidiert war;
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die Gesellschaft ihre Tätigkeit nach der Sanierung weiterführt;
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die Gesellschaft sich nicht in Nachlassliquidation oder in Konkurs befindet. Mit dem Einreichen eines Erlassgesuches anerkennen Gesuchsteller/-innen die betreffende Emissionsabgabepflicht; der Erlass der Emissionsabgabe setzt das Bestehen der Steuerpflicht voraus.
Damit verlangt die ESTV in ihrer Praxis sowohl für den Sanierungsfreibetrag als auch für den Erlass der Emissionsabgabe, dass bestehende offene Reserven einschliesslich Kapitaleinlagereserven und Kapitaleinlagen in Form von Sanierungsbeiträgen mit den Verlusten verrechnet werden. Eine spätere verrechnungs- und einkommenssteuerfreie Rückzahlung solcher Kapitaleinlagen ist nach Auffassung der ESTV nicht mehr möglich. Damit stehen bzw. standen die sanierungsbedürftigen Gesellschaften vor dem Dilemma, ob sie die Verluste unverrechnet stehen lassen und damit die Emissionsabgabe entrichten sollen, um die steuerfrei rückzahlbaren Kapitaleinlagereserven zu bewahren, oder ob sie Verluste gegen die Kapitaleinlagereserven ausbuchen sollen, um damit den Sanierungsfreibetrag und/oder den Abgabeerlass bei der Emissionsabgabe zu erhalten.
Bundesgerichtsverfahren
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil A-5073/2020 vom 29. November 2021 der Praxis der ESTV widersprochen, wonach Verluste ausgebucht werden müssen, um in den Genuss einer Abgabeausnahme oder eines Abgabeerlasses bei der Emissionsabgabe zu gelangen. Das bedeutet nun, dass vorhandene Kapitaleinlagereserven oder Kapitaleinlagereserven, die im Rahmen einer Sanierung gebildet werden, nicht durch die Ausbuchung von Verlusten vernichtet werden müssen. In Bezug auf den Abgabeerlass nach Art. 12 StG ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiterzugsmöglichkeit an das Bundesgericht rechtskräftig geworden. In Bezug auf den Sanierungsfreibetrag nach Art. 6 Abs. 1 lit. k StG hat die ESTV den Fall aber ans Bundesgericht weitergezogen.
Bis zum Vorliegen des Bundesgerichtsentscheids in dieser Sache verbleiben die sanierungsbedürftigen Gesellschaften teilweise im angesprochenen Dilemma. Gesellschaften, die bloss die Voraussetzungen für die Sanierungsfreigrenze nach Art. 6 Abs. 1 lit. k StG erfüllen, nicht aber die strengeren Voraussetzungen für einen Abgabeerlass nach Art. 12 StG, können auf die Ausbuchung der Verluste im Rahmen einer Sanierung verzichten, die Emissionsabgabe nur unter Vorbehalt bezahlen, einen einsprachefähigen Entscheid der ESTV verlangen und das Verfahren sistieren lassen, bis die Frage abschliessend durch das Bundesgericht geklärt ist. Oder sie können die Verluste ausbuchen und müssen mit Rechtssicherheit die Emissionsabgabe nicht entrichten. Dies ist aber nur für Gesellschafter/-innen zu empfehlen, die nicht auf die steuerfrei rückzahlbaren Kapitaleinlagereserven angewiesen sind.
Gesellschaften, die auch die strengeren Voraussetzungen für einen Abgabeerlass nach Art. 12 StG erfüllen, sollen neu auch für den Teil der Sanierungsleistungen, der innerhalb der Freigrenze von CHF 10 Mio. liegt, ein Abgabeerlassgesuch stellen können (vgl. STEFAN OESTERHELT, FStR 2022, S. 96).