Mehrwertsteuer beim Verkauf von Wohnbauten
Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) regelt in der MWST-Branchen-Info 04 Baugewerbe die Abgrenzung zwischen steuerbaren und von der Steuer ausgenommenen Verkäufen von Bauwerken. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass nach Ansicht der ESTV sowohl der Verkauf von schlüsselfertigen Neubauwohnungen als auch der Verkauf von umgebauten Altbauobjekten in eine mehrwertsteuerpflichtige baugewerbliche Lieferung umqualifiziert werden können.
Für die Abgrenzung zwischen steuerbaren und von der Steuer ausgenommenen Verkäufen von Bauwerken war seit 2010 bis 2013 eine Vielzahl von Kriterien massgebend, die kumulativ zu erfüllen waren. So führten beispielsweise eine Anzahlung von mehr als 30% oder Käuferwünsche (Mehrkosten) von mehr als 5% des ursprünglich definierten Pauschalpreises bzw. 7% im Baurechtsfall zu einer mehrwertsteuerlichen Leistungsumqualifikation. Die Anwendung dieser Abgrenzungskriterien gestaltete sich in der Praxis oft schwierig und war zudem mit Unsicherheit verbunden, da sich die mehrwertsteuerliche Qualifikation nach Bauabschluss ändern konnte.
Praxis seit 2013
Seit 2013 ist für die Beurteilung, ob ein steuerbarer oder ein von der Steuer ausgenommener Liegenschaftsverkauf vorliegt, lediglich auf den Baubeginn (Beginn des Aushubs) und das Datum der öffentlichen Beurkundung abzustellen. Vorverträge mit Reservierungszahlungen, die nicht öffentlich beurkundet sind, sind für die Beurteilung, ob es sich um eine von der Steuer ausgenommene oder steuerbare Immobilienlieferung handelt, unbeachtlich.
Liegt das Datum der Beurkundung des Kauf- bzw. Vorkaufvertrags vor dem Baubeginn, liegt für dieses Objekt eine steuerbare Lieferung vor. Dies hat zur Folge, dass der Verkäufer den Verkaufserlös (ohne Wert des Bodens) zum Normalsatz von derzeit 8% versteuern muss. Im Gegenzug steht dem Verkäufer auf den bezogenen Leistungen der Vorsteuerabzug zu. Erfolgt die Beurkundung des Kaufvertrags hingegen nach Baubeginn, liegt für dieses Objekt ein von der Steuer ausgenommener Immobilienverkauf vor. Somit muss der Verkäufer den Umsatz aus dem Liegenschaftsverkauf nicht versteuern, hat aber auch kein Anrecht auf den Vorsteuerabzug. Unterliegt der Verkauf der MWST, schmälert die MWST auf den Eigenleistungen und der Gewinnmarge (auf dem Bau ohne Wert des Bodens) den Gewinn des Verkäufers.
Bei Neubauten gilt als Baubeginn der Beginn der Aushubarbeiten, sofern im Anschluss an die Aushubarbeiten mit der Erstellung der Neubauten begonnen wird. Baugrundvorbereitungen (z.B. Pfählen) gelten ebenfalls als Baubeginn. Ebenfalls als Baubeginn gelten Hangsicherungsarbeiten, welche für die zu erstellenden Neubauten notwendig sind und unmittelbar vor dem Aushub erfolgen, beziehungsweise, wenn kein Aushub erfolgt, die unmittelbar vor den eigentlichen Bauarbeiten erfolgen. Es wird also mit anderen Worten eine zeitliche und örtliche Nähe vorausgesetzt. Der Baubeginn ist insbesondere mit Verträgen, Arbeitsrapporten und Rechnungen des mit dem Aushub oder der Baugrundvorbereitung beauftragten Bauunternehmens beziehungsweise Arbeitsrapporten bei selbst ausgeführten Arbeiten, der schriftlichen Meldung des Baubeginns an die zuständige Baubewilligungsbehörde und/oder der Bauversicherung (Bauherrenhaftpflicht- und Bauwesenversicherung) zu belegen.
Verzögert sich die Erstellung der Neubauten im Anschluss an die Aushubarbeiten aus Gründen, die von der steuerpflichtigen Person nicht zu verantworten sind beziehungsweise von ihr nicht beeinflusst werden können (z.B. witterungs- oder saisonal bedingte Verzögerungen oder behördlich angeordneter Baustopp aufgrund von archäologischen Funden), so erwachsen ihr daraus keine Nachteile, d.h., der Baubeginn wird dadurch nicht hinausgeschoben. Die steuerpflichtige Person hat die Verzögerung (nicht bei witterungs- oder saisonal bedingten Verzögerungen) mittels Unterlagen (z.B. Erlass eines Baustopps durch die zuständige Baubehörde) zu belegen.
Der Baubeginn wird immer pro Bauwerk (z.B. Einfamilienhaus, Mehrfamilienhaus oder Einstellhalle) festgelegt. Der Baubeginn gilt somit nicht generell für eine (Gesamt) Überbauung oder eine einzelne Teiletappe einer Überbauung. Wird aber zusammen mit mehreren Bauwerken (z.B. Einfamilien- oder Mehrfamilienhäuser) ein gemeinschaftliches Bauwerk (z.B. Einstellhalle) erstellt, das den zu erstellenden Bauwerken gemeinsam dient und mit ihnen durch zu Beginn erstellte direkte Zugänge verbunden ist, gilt aus Praktikabilitätsgründen beziehungsweise als Vereinfachung der Baubeginn des gemeinschaftlichen Bauwerks auch für die mit diesem verbundenen Bauwerke. Trifft dies nicht zu, dann ist auch das gemeinschaftliche Bauwerk als eigenständiges Bauwerk zu betrachten.
HINWEIS
Baubeginn zwischen 01.01.2010 und 30.06.2013:
Für die Übergangszeit vom 01.01.2010 bis 30.06.2013 kann für die Qualifikation der Leistung wahlweise für ein ganzes Bauwerk die bisherige oder die neue Praxis angewandt werden. Diese Wahlmöglichkeit kann zu nachträglichen Mehrwertsteuerkorrekturen führen.
Baubeginn ab 01.07.2013:
Für Bauwerke mit Baubeginn ab 01.07.2013 gilt nur noch die neue Praxis
|
Praxis zu Umbauten
Nach der Praxis der ESTV kann eine Umqualifikation in eine steuerbare baugewerbliche Lieferung nicht nur beim Verkauf von Neubauten, sondern auch beim Verkauf von umgebauten Wohnungen oder Häusern erfolgen. Ein Umbau im Sinne der Mehrwertsteuer liegt dann vor, wenn sich die Umbaukosten auf mehr als 50% des Gebäudeversicherungswertes (aktueller Wert [inkl. automatischer teuerungsbedingter Anpassungen] im Zeitpunkt des Umbaus) vor dem Umbau belaufen.
Als Bemessungsgrundlage für die Höhe der Umbaukosten dienen die Plankosten. Ebenfalls zu den Plankosten zählen allfällige Eigenleistungen des Verkäufers (z.B. Bau- und/oder Architekturleistungen, die zu Drittpreisen zu berücksichtigen sind).
Bei Umbauten von bestehenden Bauwerken gilt als Baubeginn der tatsächliche Beginn der Umbauarbeiten (z.B. Teilabbruch). Dieser Beginn ist insbesondere mit Verträgen, Arbeitsrapporten und Rechnungen des mit dem Umbau beauftragten Bauunternehmens beziehungsweise Arbeitsrapporten bei selbst ausgeführten Umbauarbeiten, der schriftlichen Meldung des Baubeginns an die zuständige Baubewilligungsbehörde (sofern im betreffenden Kanton bzw. der Gemeinde notwendig) und/oder mit der Bauversicherung (Bauherrenhaftplicht- und Bauwesenversicherung) zu belegen.
Zeitliche Wirkung
Für die Beurteilung, welches Recht bzw. welche Praxis anwendbar ist, ist der Zeitpunkt des Baubeginns massgebend.
Mehrwertsteuerkorrekturen
Kann die steuerpflichtige Person aufgrund der vorgenannten Wahlfreiheit der anwendbaren Praxis Steueransprüche gegenüber der ESTV geltend machen (z.B. nachträglich mögliche Vorsteuerabzüge), so hat sie diese der ESTV mit einer Korrekturabrechnung (pro Abrechnungsperiode eine separate Korrekturabrechnung) mitzuteilen. Hat die steuerpflichtige Person jedoch dem Leistungsempfänger die MWST offen ausgewiesen (z.B. «inkl. 8% MWST»), so ist eine Korrektur nur durch Ausstellung von neuen korrigierten Rechnungsbelegen möglich.
Fazit und Ausblick
Mit dem Mehrwertsteuergesetz vom 1. Januar 2010 wurde der baugewerbliche Eigenverbrauch als Steuertatbestand abgeschafft. Als Folge davon kommt der Unterscheidung zwischen einer steuerbaren werkvertraglichen Lieferung und dem steuerfreien Grundstücksverkauf eine entscheidende Bedeutung zu. Baut der Generalunternehmer auf eigenem Land, so müssen er und der Käufer wissen, ob die Übertragung der Liegenschaft steuerpflichtig ist.
Die Steuerverwaltung (ESTV) tut sich mit dem politisch gewollten Verlust von Steuersubstrat offenbar sehr schwer und hat eine ausgesprochen restriktive Praxis entwickelt, die sie in den letzten Jahren gleich mehrfach revidieren musste. Auch die Politik bewirtschaftet das Thema weiterhin. So fordert die am 22. März 2013 von Markus Hutter im Nationalrat eingereichte Motion «Mehrwertsteuerfreier Grundstückkauf» (13.3238), die von Frau Nationalrätin Petra Gössi übernommen worden ist, den Bundesrat auf, die Praxis der ESTV erneut zu korrigieren. Nach der Motion darf für die Steuerpflicht nur der Zeitpunkt massgebend sein, in welchem Nutzen und Gefahr übergehen. Der Nationalrat hat die Motion am 10. März 2015 angenommen.
Die Unsicherheiten über die künftige Behandlung von Liegenschaftsverkäufen bei der Mehrwertsteuer bleiben also bestehen. Der Unternehmer muss diese Unsicherheiten zusammen mit den weiteren Problemfeldern (Fragen der Gewerbsmässigkeit bei der Einkommenssteuer, Gewinnaufteilung zwischen Gewinnsteuer und Grundstückgewinnsteuer bei juristischen Personen etc.) in der Steuerplanung berücksichtigen.