V wie Verwaltungsrat und Verantwortung
«Verwaltungsratsmitglied werden ist nicht schwer, Verwaltungsratsmitglied sein dagegen sehr…» könnte man eine bekannte Volksweisheit abwandeln, wenn es um die so genannten «unübertragbaren» und «unentziehbaren» Aufgaben eines Verwaltungsrats geht. Der folgende Beitrag beschreibt die Verantwortungsbereiche des strategischen Führungsgremiums und seiner Mitglieder.
* Der Verwaltungsrat ist für das Festlegen und Entwickeln der strategischen Ziele der Gesellschaft sowie die Festlegung der für die Zielerreichung erforderlichen Mittel zuständig.
Frage
Welche unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben hat der Verwaltungsrat?
Antwort
Der Verwaltungsrat ist das geschäftsführende Organ der Aktiengesellschaft. Ihm stehen alle Befugnisse und Kompetenzen zu, soweit nicht die Generalversammlung nach Gesetz oder Statuten zuständig ist. Der Verwaltungsrat führt die Geschäfte selber, soweit er die Geschäftsführung nicht übertragen hat. Eine Delegation der Geschäftsführung ist zulässig, wenn eine statutarische Delegationsermächtigungsklausel besteht und der Verwaltungsrat die Delegation in der Form eines Organisationsreglements (mindestens in Form eines schriftlich protokollierten Verwaltungsratsbeschlusses) vornimmt.
Beim Delegieren der Geschäftsführung an ein Verwaltungsratsmitglied spricht man vom «Delegierten des Verwaltungsrats» und beim Delegieren der Geschäftsführung an Personen ausserhalb des Verwaltungsrats von «Direktoren». Wird die Geschäftsführung nicht übertragen, steht sie allen Mitgliedern des Verwaltungsrats gesamthaft zu.
Die unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben sind in Art. 716a Abs. 1 OR geregelt. Einerseits ist es dem Verwaltungsrat nicht erlaubt, diese Aufgaben an andere Gesellschaftsorgane oder Dritte zu delegieren. Anderseits ist es der Generalversammlung verwehrt, dem Verwaltungsrat diese Aufgaben zu entziehen. Dies bedeutet, dass der Verwaltungsrat diese Aufgaben selber erfüllen muss und eine Delegation an die Generalversammlung oder die Geschäftsleitung unzulässig ist.
Die unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben des Verwaltungsrats im Einzelnen:
Oberleitung der Gesellschaft und Erteilung der dafür nötigen Weisungen
Der Verwaltungsrat ist für das Festlegen und Entwickeln der strategischen Ziele der Gesellschaft sowie die Festlegung der für die Zielerreichung erforderlichen Mittel zuständig. Bei der Strategiefestlegung ist der Verwaltungsrat an den statutarischen Zweck gebunden. Zudem hat der Verwaltungsrat die nötigen Weisungen für die Zielerreichung zu erteilen und ist auch für die Kontrolle der Zielverfolgung zuständig.
Festlegung der Organisation
Beim Festlegen der Organisation geht es um die Organisation und Strukturierung des Verwaltungsrats sowie des Unternehmens in seinen wesentlichen Grundzügen (u.a. Umschreibung der direkt dem Verwaltungsrat unterstellten obersten Geschäftsleitung, Festlegung von Hierarchien und Berichterstattungssystemen, Definition von Aufgabenbereichen und Pflichten). Das Festlegen der Organisation der untergeordneten Stellen kann delegiert werden. In diesem Fall ist der Verwaltungsrat für die Beaufsichtigung weiterhin verantwortlich.
Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle und der Finanzplanung
Der Verwaltungsrat verantwortet die Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle sowie der Finanzplanung, sofern diese für das Führen der Gesellschaft notwendig ist. «Ausgestaltung» bedeutet, dass der Verwaltungsrat die mit der finanziellen Führung zusammenhängenden Tä- tigkeiten zwar nicht selber ausführen muss, aber dafür verantwortlich ist, dass die Aufgaben ordnungsgemäss wahrgenommen werden. Die folgenden drei Aspekte gehören zur Finanzverantwortung des Verwaltungsrats:
– Ausgestaltung des Rechnungswesens: Der Verwaltungsrat hat für die Existenz einer funktionierenden Buchführung zu sorgen und verantwortet die Ordnungsmässigkeit der Rechnungslegung sowie des Rechnungslegungsmodells. Der Verwaltungsrat muss Informations- und Führungsmittel schaffen, die sicherstellen, dass jederzeit eine korrekte finanzielle Standortbestimmung des Unternehmens möglich ist.
– Ausgestaltung der Finanzkontrolle und des internen Kontrollsystems: Der Verwaltungsrat muss dafür besorgt sein, dass eine ständige Kontrolle über die wesentlichen Geschehnisse im Finanzbereich der Gesellschaft ausgeübt wird. Dabei sind die finanziellen Abläufe sowie die Liquidität des Unternehmens kritisch zu überwachen. Das interne Kontrollsystem (IKS) ist so auszugestalten, dass Veränderungen der Finanzlage und Liquidität frühzeitig erkannt werden, damit der Verwaltungsrat entsprechend handeln kann.
– Ausgestaltung der Finanzplanung: Mit Finanzplanung ist die Budgetierung und Liquiditätsplanung (also die Planung der künftigen Abgänge und Zugänge an finanziellen Mitteln) zu verstehen. Dabei geht es im Wesentlichen um die Fragen, ob die Liquidität der Gesellschaft sichergestellt ist, wie hoch der Kapitalbedarf zukünftig ist und wie dieser gedeckt werden soll sowie ob das Unternehmen einen allfälligen finanziellen Verlust verkraften kann.
Ernennen und Abberufen der Geschäftsleitung und der Vertretungsberechtigten
Das Ernennen und Abberufen der dem Verwaltungsrat direkt unterstehenden Mitglieder der Geschäftsführung hat zwingend durch den Verwaltungsrat zu erfolgen. Das Ernennen und Abberufen von untergeordneten Stellen (Direktoren, Prokuristen) kann an die Geschäftsführung delegiert werden.
Oberaufsicht über die Geschäftsführung
Die Oberaufsicht über die Geschäftsführung wird in zwei Aspekte aufgeteilt. Einerseits geht es um die «normative» Beaufsichtigung. Es liegt in der Verantwortung des Verwaltungsrats, die Einhaltung von Gesetzen, Statuten, Reglementen und Weisungen zu beaufsichtigen. Anderseits muss der Verwaltungsrat beaufsichtigen, ob die Zweckmässigkeit der Handlungen und die Zielkonformität der Entscheide unter «betriebswirtschaftlichen» Gesichtspunkten erfolgen.
Der Verwaltungsrat hat nicht die Handlungen der mit der Geschäftsführung betrauten Personen einzeln zu überprüfen. Vielmehr muss er zur Erfüllung dieser Aufgaben interne Berichterstattungs- und Kontrollsysteme einführen, damit eine zweckdienliche Berichterstattung möglich ist und er so über die Tätigkeiten der Geschäftsführung orientiert ist, um allenfalls die notwendigen Massnahmen anordnen zu können.
Erstellen des Geschäftsberichts, Vorbereiten der Generalversammlung und Ausführen der Beschlüsse
Der Verwaltungsrat ist verantwortlich für die Erstellung des Geschäftsberichts. Dieser enthält die Jahresrechnung, die sich aus Bilanz, Erfolgsrechnung und Anhang zusammensetzt. Unternehmen, die zu einer ordentlichen Revision verpflichtet sind, müssen zusätzliche Angaben im Anhang machen sowie eine Geldflussrechnung und einen Lagebericht erstellen. Für die Vorbereitung der jährlichen Generalversammlung, die innerhalb von sechs Monaten nach Schluss des Geschäftsjahrs stattfindet, trägt der Verwaltungsrat die Verantwortung. So ist er u.a. für eine frist- und formgerechte Einladung, die Festlegung der Traktandenliste, die Formulierung von Anträgen des Verwaltungsrats sowie die Sicherstellung eines reibungslosen Ablaufs zuständig.
Schliesslich trägt der Verwaltungsrat die Verantwortung für das Ausführen der Generalversammlungsbeschlüsse. Er hat die mit dem Vollzug der Beschlüsse betrauten Personen zu instruieren und zu überwachen.
Benachrichtigung des Richters bei Überschuldung
Ist aus der Jahresbilanz ersichtlich, dass die Forderungen der Geschäftsgläubiger weder zu Fortführungsnoch zu Veräusserungswerten gedeckt sind, ist die Gesellschaft überschuldet. In diesem Fall hat der Verwaltungsrat den Richter zu benachrichtigen, sofern nicht die Gesellschaftsgläubiger im Ausmass der Unterdeckung im Rang hinter alle anderen Gesellschaftsgläubiger zurücktreten.