Verwaltungsratsvergütung und obligatorische berufliche Vorsorge
Laut den Angaben des Bundesamtes für Statistik gab es in der Schweiz im Jahr 2018 über 118’000 Aktiengesellschaften. Die meisten davon haben mehr als ein Verwaltungsratsmitglied (VR-Mitglied). Viele VR-Mitglieder üben dieses Amt nebenberuflich aus und erhalten dafür eine Vergütung. Die Vergütung untersteht unter bestimmten Voraussetzungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge.
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Frage
Wann besteht für ein VR-Mitglied eine Versicherungspflicht in der obligatorischen beruflichen Vorsorge?
Antwort
VR als Organ oder Arbeitnehmer/-in
Das VR-Mitglied wird von der Generalversammlung der Gesellschaft gewählt. Übernimmt es neben dem VR-Mandat noch weitere operative Funktionen in der Gesellschaft, dann ist es in der Regel deren Angestellte/-r und daher in der obligatorischen beruflichen Vorsorge versicherungspflichtig. Beschränkt sich seine Tätigkeit auf die Ausübung des VR-Mandates, besteht ein rein organschaftliches Verhältnis zur Gesellschaft. Dies muss hinsichtlich der Versicherungspflicht in der obligatorischen beruflichen Vorsorge differenziert betrachtet werden.
Vergütung des VR-Mandates
Die Gesellschaft kann in ihren Statuten vorsehen, dass die VR-Tätigkeit gegen oder ohne Vergütung erfolgt. Äussern sich die Statuten nicht zur Vergütung, dann kann der Gesamtverwaltungsrat selber über die Entschädigungsfrage einen Beschluss fassen (Art. 716 Abs. 1 OR). Wird eine Vergütung zugesprochen, so erfolgt die Auszahlung zumeist in Form eines Honorars, einer festen Entschädigung oder eines Sitzungsgeldes. Ebenfalls zulässig ist die heute nur noch selten anzutreffende Auszahlung als Tantieme, d.h. Auszahlung von Gewinnanteilen aus dem Unternehmensgewinn.
VR-Mandat und Sozialversicherungsbeiträge
Eine VR-Vergütung stellt gemäss Art. 7 lit. h AHVV «massgebenden Lohn» dar und untersteht der AHV/IV/EO-, Familienzulage- und ALV-Beitragspflicht zu den aktuellen Beitragssätzen. Die Gesellschaft, welche diese Vergütung auszahlt, muss die Beiträge mit ihrer Ausgleichskasse abrechnen.
Nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters muss der Rentnerfreibetrag von CHF 1’400 im Monat bzw. 16’800 im Jahr beachtet werden, auf den keine Beiträge bezahlt werden müssen. Der Beitrag für die Arbeitslosenkasse entfällt im Rentenalter.
Arbeitet das VR-Mitglied aktiv im Betrieb mit, dann muss es obligatorisch gegen Unfall versichert werden.
Exkurs: Verrechnung über eine Drittgesellschaft
Übt das VR-Mitglied seine VR-Tätigkeit bei der Gesellschaft als Arbeitnehmer/-in einer Drittgesellschaft aus, wird die Drittgesellschaft der Gesellschaft dafür eine Rechnung stellen. Die Vergütung erhält dann nicht das VR-Mitglied, sondern die Drittgesellschaft. Diese VR-Vergütung an die Drittgesellschaft stellt keinen massgebenden Lohn dar und untersteht keiner Sozialversicherungsbeitragspflicht, wenn die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
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Das VR-Honorar wird von der Gesellschaft nicht dem VR-Mitglied, sondern direkt an die Drittgesellschaft als Arbeitgeber/-in des VR-Mitglieds ausgerichtet (Arbeitgeber/-in kann hier auch die «eigene» AG oder GmbH des VR-Mitglieds sein).
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Das VR-Mitglied vertritt seine/-n Arbeitgeber/-in im Verwaltungsrat der Gesellschaft.
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Das VR-Honorar wird an die/den Arbeitgeber/-in des VR-Mitglieds in der Schweiz ausbezahlt.
Bei der an die Drittgesellschaft ausgerichteten VR-Vergütung handelt es sich hinsichtlich der Mehrwertsteuer um das Entgelt für eine zum Normalsatz steuerbare Dienstleistung, sofern die Drittgesellschaft ihren Sitz in der Schweiz hat.
BVG-Pflicht
Arbeitnehmende, die bei der eidgenössischen Alters- und Hinterlassenenversicherung versichert sind und die bei einer/ einem Arbeitgeber/-in einen Jahreslohn von mindestens CHF 21’510 (Stand 2021) beziehen, unterstehen ab 1. Januar
der obligatorischen beruflichen Vorsorge.
Obligatorisch BVG-versichert werden muss somit
«Arbeitnehmer/-in» im Sinne des Rechts der beruflichen Vorsorge meint «unselbständige Erwerbstätigkeit» im Sinne des AHV-Rechts. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt die organschaftliche Tätigkeit des VR-Mitglieds als unselbständige Erwerbstätigkeit. Folglich müssen VR-Mitglieder ihre persönlich erhaltene VR-Vergütung grundsätzlich in der obligatorischen beruflichen Vorsorge versichern.
VR-Mandat im Haupt- oder Nebenerwerb
Art. 1j Abs. 1 lit. c der Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen und Invalidenvorsorge (BVV 2) sieht eine wichtige Ausnahme vom oben erwähnten Grundsatz vor, wonach die persönlich an das VR-Mitglied ausgerichteten Vergütungen bei Erreichen der Eintrittsschwelle in der obligatorischen beruflichen Vorsorge versichert werden müssen. Eine Pflicht zur obligatorischen beruflichen Vorsorge besteht nicht, wenn das VR-Mandat im Nebenerwerb ausgeübt wird und das VR-Mitglied bereits im Hauptberuf obligatorisch nach BVG versichert ist oder im Hauptberuf selbständig erwerbend ist. Dies gilt auch, wenn die (im Nebenerwerb erzielte) Vergütung des VR-Mitglieds die Eintrittsschwelle erreicht.
Eine gesetzliche Definition für die Abgrenzung zwischen Haupt- und Nebenerwerb gibt es nicht. Das Bundesgericht stellt jeweils auf den Einzelfall ab. Als Haupterwerb gilt eine auf Dauer ausgerichtete Tätigkeit, für welche die natürliche Person den grössten Teil der für ihre Erwerbstätigkeit aufgewendeten Zeit und Arbeitskraft einsetzt. Der Haupterwerb kann sich auch aus mehreren Teilzeitanstellungen zusammensetzen. Es kann nicht immer davon ausgegangen werden, dass bei Vorliegen von mehreren Teilzeitpensen das jeweils grösste Einkommen als Haupterwerb und sämtliche andere Einkünfte als Nebenerwerbstätigkeiten angesehen werden. Kann eine Nebenerwerbstätigkeit in zeitlicher, räumlicher bzw. örtlicher und infrastruktureller Hinsicht nicht klar von einer Haupterwerbstätigkeit abgegrenzt werden, handelt es sich vermutungsweise bei beiden Tätigkeiten um Haupterwerbstätigkeiten. Das Bundesgericht nimmt mehrere nebeneinander ausgeübte Haupterwerbstätigkeiten u.a. bei drei Teilzeitbeschäftigungen mit Pensen von 50, 30 und 20% an (BGE 136 V 390).
Koordinationsabzug und freiwillige Versicherung
Was ist der Koordinationsabzug?
In der obligatorischen beruflichen Vorsorge (zweite Säule) ist nur ein Teil des Lohnes versichert. Im Jahr 2021 beträgt der in der zweiten Säule minimal anrechenbare Jahreslohn («Eintrittsschwelle») CHF 21’510 und der maximal anrechenbare Jahreslohn CHF 86’040. Der Koordinationsabzug beträgt CHF 25’095 (7/8 der maximalen einfachen AHV-Rente). Er dient zur Bestimmung des bei der zweiten Säule versicherten bzw. «koordinierten» Lohns. Über ihn erfolgt die Koordinierung mit den Renten aus der ersten Säule (AHV), wodurch sichergestellt wird, dass für die zweite Säule nur Beiträge erhoben werden, die nicht bereits in der ersten Säule versichert sind. Zieht man vom maximal anrechenbaren Jahreslohn von CHF 86’040 den Koordinationsabzug ab, erhält man den maximal in der obligatorischen beruflichen Vorsorge anrechenbaren Lohn von CHF 60’945 (Stand 2021). Viele Unternehmen verzichten in ihren Kader-Vorsorgeplänen auf den Koordinationsabzug. Je nach Vorsorgeplan können zudem Lohnteile, die über dem maximal anrechenbaren Jahreslohn liegen, in der überobligatorischen Versicherung eingeschlossen werden. Darauf wird nachfolgend nicht weiter eingegangen.
Was hat das mit der freiwilligen Versicherung zu tun?
Übt ein VR-Mitglied mehrere Mandate aus, von denen jedes für sich die Eintrittsschwelle von CHF 21'510 erreicht und hinsichtlich Zeitaufwand und Vergütung etwa gleichwertig ist, so wird für jedes VR-Mandat ein Haupterwerb und damit ein separates Versicherungspflichtverhältnis angenommen, wobei der Koordinationsabzug mehrfach berücksichtigt wird. Ist das VR-Mitglied jedoch hauptberuflich in der beruflichen Vorsorge versichert und übt es seine VR-Mandate nebenberuflich aus, können die nebenberuflich ausgeübten VR-Mandate unter Berücksichtigung eines einmaligen Koordinationsabzugs freiwillig bei derjenigen Vorsorgeeinrichtung versichert werden, bei der das VR-Mitglied hauptberuflich angeschlossen ist. Das PK-Reglement der Vorsorgeeinrichtung darf die freiwillige Versicherung allerdings ausschliessen, was heute leider meistens der Fall ist. In diesem Fall kann die freiwillige Versicherung bei der Stiftung Auffangeinrichtung BVG abgeschlossen werden.
Die unten aufgeführten Beispiele verdeutlichen die Unterschiede.
Beispiel 1 (mehrere Haupterwerbe)
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Vergütung 1 (Haupterwerb)
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Vergütung 2 (Haupterwerb)
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Total
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40’000
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40’000
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80’000
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Obligatorische Versicherung
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ja
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ja
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./. Koordinationsabzug
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- 25’095
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- 25’095
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- 50’190
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Total versicherter (koordinierter) Lohn
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29’810
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Beispiel 2 (ein Haupterwerb und mehrere Nebenerwerbe)
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Vergütung 1 (Haupterwerb)
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Vergütung 2 (Nebenerwerb
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Vergütung 3 (Nebenerwerb)
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Total
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40’000
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20’000
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20’000
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80’000
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Obligatorische Versicherung
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ja
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nein
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nein
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Freiwillige Versicherung
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-
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ja
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ja
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./. Koordinationsabzug
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-25’095
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-25’095
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Total versicherter (koordinierter) Lohn
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14’905
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54’905
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Wie im ersten Beispiel erhält das VR-Mitglied auch im zweiten Beispiel eine Gesamtvergütung von CHF 80’000. Für den Haupterwerb beträgt der koordinierte Lohn CHF 14’905. Das VR-Mitglied hat darüber hinaus die Vergütungen aus den beiden VR-Mandaten im Nebenerwerb freiwillig BVG-versichert, wodurch sein koordinierter Lohn CHF 54’905 beträgt.
Im ersten Beispiel beträgt dieser nur CHF 29’810.
Fazit
Wer für seine Tätigkeit als VR-Mitglied persönlich eine Vergütung erhält, ist dafür grundsätzlich obligatorisch BVG-versichert, wenn die Eintrittsschwelle von CHF 21’510 (Stand 2021) erreicht wird. Keine BVG-Versicherungspflicht besteht, wenn die VR-Tätigkeit als Nebenerwerb qualifiziert und / oder die Eintrittsschwelle nicht erreicht wird. Bei mehreren solchen VR-Mandaten im Nebenerwerb können unter Umständen die daraus erzielten VR-Vergütungen freiwillig bei der Vorsorgeeinrichtung des Haupterwerbs mitversichert werden. Aus Sicht des Unternehmens ist es zwingend notwendig, ausgerichtete VR-Vergütungen regelmässig auf ihre BVG-Versicherungspflicht zu überprüfen.