Mehr Freiheiten für Erblasser/-innen
Am 1. Januar 2023 tritt das revidierte Erbrecht in Kraft. Die wichtigsten Neuerungen betreffen das Pflichtteilsrecht. Neu können Erblasser/-innen unter anderem freier über ihren Nachlass verfügen, da die Pflichtteile der Kinder kleiner werden und die Pflichtteile der Eltern ganz wegfallen. Die Pflichtteile der Ehepartner/-innen / eingetragenen Partner/-innen1 bleiben unverändert.
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Frage
Welche Neuerungen gibt es beim Pflichtteilsrecht?
Antwort
Erbrechtsrevision
Seit dem Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches (ZGB) am 1. Januar 1912 wurden dessen erbrechtliche Bestimmungen nur geringfügig revidiert. Da diese mit den heutigen Gesellschaftsformen aber längst nicht mehr übereinstimmen, hat der Bundesrat eine Revision des Erbrechts vorgeschlagen. Mit dem revidierten Erbrecht können Erblasser/-innen künftig ihren Nachlass flexibler und individueller den eigenen Vorstellungen entsprechend gestalten. Der Bundesrat hat entschieden, die neuen Bestimmungen des Erbrechts auf den 1. Januar 2023 in Kraft zu setzen.
Wichtige Änderungen im Überblick:
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Änderung der Pflichtteile
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Verlust des Pflichtteilsschutzes im hängigen Scheidungsverfahren
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Erhöhung der verfügbaren Quote bei Nutzniessung
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Klarstellung bei der ehevertraglichen Meistbegünstigungsregelung der Ehepartner/-innen
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Klarstellung der erbvertraglichen Behandlung der Ansprüche aus der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a)
Im Folgenden wird nur auf die Änderung der Pflichtteile näher eingegangen. Als Pflichtteil wird der gesetzlich festgelegte Mindestanspruch eines Erben am Nachlass bezeichnet. Die Pflichtteilssetzung eines Erben muss von den Erblasser/-innen in einem Testament angeordnet oder in einem Ehe- oder Erbvertrag vereinbart worden sein.
Kein Pflichtteil mehr für Eltern
Der Pflichtteilsschutz der Eltern wird mit der Erbrechtsrevision vollständig gestrichen. Die Eltern bleiben aber gesetzliche Erben. Hinterlassen die unverheirateten Erblasser/-innen keine Nachkommen, so erben die Eltern bzw. bei deren Vorversterben deren Nachkommen den gesamten Nachlass. Waren die Erblasser/-innen verheiratet, so beträgt der gesetzliche Erbteil der Eltern ein Viertel. Da die Erblasser/-innen mit dem künftigen revidierten Erbrecht ihre Eltern vollständig von der Erbfolge ausschliessen können, können kinderlose und nicht verheiratete lebende Erblasser/-innen letztwillig über ihr gesamtes Vermögen verfügen.
Kleinerer Pflichtteil für die Nachkommen
Der Pflichtteil der Nachkommen beträgt nach geltendem Recht drei Viertel des gesetzlichen Erbanspruches. Mit der Erbrechtsrevision wird der Pflichtteil der Nachkommen auf die Hälfte des gesetzlichen Erbanteils reduziert. Waren die Erblasser/-innen nicht verheiratet, so erben die Nachkommen die gesamte Erbschaft; der Pflichtteil beträgt die Hälfte des Nachlasses (nach bisherigem Recht drei Viertel). Waren die Erblasser/-innen verheiratet, so beträgt der gesetzliche Erbanspruch der Nachkommen die Hälfte; der Pflichtteil beträgt ein Viertel des Nachlasses (die Hälfte von der Hälfte).
Erb- und Pflichtteilsrecht im Überblick
Gesetzliche Erb/-innen sind weiterhin die Nachkommen, die Eltern, die Verwandten des elterlichen und grosselterlichen Stammes sowie die Ehepartner/-innen der Erblasser/-innen (vgl. Abbildung «Parentelsystem»). Hinterlassen die Erblasser/-innen keine (gesetzlichen oder eingesetzten) Erben, so fällt die gesamte Erbschaft an das Gemeinwesen. Im Kanton Schwyz erbt die Gemeinde des letzten schwyzerischen Wohnsitzes der Erblasser/-innen.
Neu sind ab dem 1. Januar 2023 nur noch die Nachkommen sowie Ehegatten/-innen pflichtteilsgeschützt. Die Eltern und die Verwandten des elterlichen sowie grosselterlichen Stammes sind nicht pflichtteilsgeschützte, aber gesetzliche Erben.
Grösserer Handlungsspielraum für Erblasser/-innen
Erblasser/-innen können in einer Verfügung von Todes wegen nur über den nicht pflichtteilsgeschützten Teil ihres Nachlasses (= frei verfügbare Quote) frei verfügen. Der Wegfall der Pflichtteile der Eltern sowie die Herabsetzung der Pflichtteile der Nachkommen gibt den Erblasser/-innen mehr Handlungsspielraum bei ihrer Nachlassplanung, da die frei verfügbare Quote höher wird. Mit dem revidierten Erbrecht können die Erblasser/-innen über mindestens die Hälfte ihres Vermögens uneingeschränkt frei verfügen. Erblasser/-innen können so gesetzliche Erben zusätzlich begünstigen oder die frei verfügbare Quote Dritten (beispielsweise Lebenspartnern, Stiefkindern, Freunden, Stiftungen) zukommen lassen. Dadurch, dass die Erblasser/-innen auch gesetzliche Erben zusätzlich begünstigen können, kann eine Unternehmensnachfolge oder die Übertragung von Liegenschaften innerhalb der Familie einfacher geregelt werden.
Handlungsbedarf
Durch die Änderungen des revidierten Erbrechts können Erblasser/-innen künftig über einen grösseren Teil ihres Vermögens frei verfügen und ihre Nachlassplanung flexibler gestalten. Allfällige früher verfasste Testamente oder abgeschlossene Erbverträge sollten – allenfalls von einer Fachperson – kritisch überprüft werden.
1 Am 26. September 2021 haben die Schweizer Stimmberechtigten die Vorlage «Ehe für alle» angenommen. Gleichgeschlechtliche Paare haben damit das Recht auf Eheschliessung erhalten. Nach dieser Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare können keine neuen eingetragenen Partnerschaften mehr geschlossen werden. Paare, die bereits in einer eingetragenen Partnerschaft leben, können diese weiterführen oder durch eine gemeinsame Erklärung beim Zivilstandsamt in eine Ehe umwandeln. Der Einfachheit halber wird nur der Begriff «Ehepartner/-in» verwendet.