IKS: Theorie und gesetzliche Grundlagen in der Schweiz – Teil 1
Wirecard, Postauto oder Raiffeisen – Bei all diesen Fällen negativem Wirtschaftens stellt sich eine gemeinsame Frage: Wurde genügend und vor allem systematisch kontrolliert? Die Anschlussfrage, ob ein gutes Internes Kontrollsystem (IKS) das offensichtliche Fehlverhalten oder aber die getätigten Manipulationen verhindert oder zumindest erschwert hätte, folgt auf dem Fuss.
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Seit 2008 müssen grössere Unternehmen in der Schweiz (konkret: ordentlich prüfungspflichte Unternehmen nach Art. 727 OR) ein IKS aufbauen und unterhalten. Zudem sieht das Schweizer Obligationenrecht für die Revisionsstelle dieser Gesellschaften auch eine Prüfpflicht des IKS vor (Art. 728a Abs. 1 Ziff. 3 OR). Diese Vorgaben würden vermuten lassen, dass es um die IKS-Landschaft in der Schweiz sehr gut bestellt ist. Leider müssen diese positiven Ansätze doch massiv relativiert werden. So unterstehen in der Schweiz gerade einmal gut 2% der Gesellschaften der ordentlichen Revision. Zudem hat sich der Gesetzgeber seinerzeit für eine absolut minimale IKS-Variante entschieden. Der oben erwähnte Gesetzestext verlangt denn auch wörtlich ein «existierendes» IKS. Die weitergehende Variante des «funktionierenden» Kontrollsystems hat das Parlament als eine der letzten Amtshandlungen bei der Neugestaltung des Revisionsrechts über Bord gekippt.
Die Standardvorgaben des Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer (Schweizer Prüfungsstandard PS 890) hat denn auch diesen Gedanken aufgenommen und definiert das IKS im Sinne des Gesetzgebers als Prozesse, welche dazu dienen mit «hinreichender Sicherheit die Ziele der Einheit im Hinblick auf die Verlässlichkeit der Rechnungslegung, die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftstätigkeit sowie die Einhaltung der massgebenden gesetzlichen und anderen rechtlichen Bestimmungen zu erreichen».
Wer sich mit der Theorie des IKS beschäftigt, merkt schnell, dass die Definition des IKS, wie es der Gesetzgeber im Rahmen der Vorgaben für die ordentliche Revision vorsieht, zu kurz greift. Während die Fokussierung des Gesetzgebers sowie der Revisionsbranche auf die finanziellen Aspekte der Unternehmenstätigkeit nachvollziehbar erscheinen, müsste die Unternehmensleitung einen breiteren Aspekt des IKS verfolgen. So beschäftigen die operativen Prozesse die Unternehmen aktuell teilweise deutlich stärker als rein finanzielle Abläufe. Themen wie der allgegenwärtige Personal- und Fachkräftemangel oder aber die teilweise existenzgefährdenden Lieferengpässe werden durch ein IKS im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben nur ungenügend oder aber gar nicht abgedeckt.
Es ist deshalb ratsam, auf ein bewährtes Rahmenkonzept für die IKS-Ausgestaltung zurückzugreifen. Zu diesen Rahmenkonzepten gehört beispielsweise das COSO-Framework, welches eine hohe Relevanz in der Praxis aufweist und sich als sinnvolle Orientierungshilfe bewährt hat.
IKS als Kernaufgabe des Managements
Das Management von Schlüsselprozessen, seien diese nun finanzieller oder aber operativer Art, ist das Kernthema des Managements. Erstaunlicherweise fällt es vielen Unternehmensverantwortlichen jedoch schwer, zwischen dem strategischen Management und der operativen Prozesskontrolle zu differenzieren und man macht einfach «etwas von allem». Das Resultat ist das Fehlen eines systematischen IKS oder aber das Vorhandensein eines IKS, welches die grundlegenden Vorgaben an ein solches System nicht erfüllt und nicht tauglich ist, wichtige Prozesse verlässlich zu überwachen. Im ersten Fall hat das Management immerhin die klare Ausgangslage, dass eine systematische Kontrolle der Kernprozesse in einem Unternehmen fehlen. Der zweite Fall ist dahingehend perfider, dass die Unternehmensleitung sich selber in die Illusion versetzt, dass sie ihrer Verpflichtung betreffend Aufbau sowie Unterhalt eines IKS nachgekommen ist, dieses jedoch aufgrund der fehlenden Systematik sowie der fehlenden Bestandteile nicht geeignet ist, das Unternehmen entsprechend vor schwerwiegenden Schäden zu bewahren. Der dabei oft geäusserte Vorwurf, dass das IKS schwerfällig und ein Papiertiger sei, ist dahingehend falsch, als dass sich ein IKS nicht anhand der Anzahl Seiten oder aber der Anzahl Reglemente definiert, sondern aufgrund der Systematik sowie der Umsetzung im Unternehmen. Schwerfällige IKS sind somit nicht notwendig, sondern wurden vom Management als verantwortliche Instanz so geschaffen.
Anforderungen an ein IKS
Das IKS definiert sich somit nicht über seinen Umfang, sondern über gewisse Vorgaben, welche durchaus pragmatisch und praktisch erfüllt werden können. Nachfolgende Vorgaben sind zwingend bei Gestaltung zu beachten:
Bekanntheit / Information / Implementation: Ein IKS ist nur tauglich, wenn betroffene Prozessbeteiligte (also die Mitarbeitenden) das IKS sowie die entsprechenden Vorgaben und damit ihre Rolle kennen – oder minimal den Teil, welcher sie betrifft. Oftmals ist ein IKS-Projekt beendet, wenn alle Prozesse und Kontrollen fein säuberlich in einem Ordner oder auf einem Laufwerk dokumentiert wurden.
Systematische Erarbeitung und Umsetzung: Ein gutes IKS unterscheidet sich von einem untauglichen IKS durch die Systematik der Erarbeitung. Oftmals werden in frühen Phasen des IKS-Projekts bedeutende Weichenstellungen vorgenommen, ohne die Konsequenzen für das Projekt zu bedenken. Allzu oft unterliegt ein IKS-Projekt zu ambitionierten Kosten- und Zeitbudgets mit dem Effekt, dass der umfassende und unternehmensweite Blick auf Prozessabläufe sowie -kontrollen verloren geht.
Genauso oft ist aber das Gegenteil nach dem Motto «Viel hilft viel» das Problem bei IKS-Projekten. Um dem Projekt einen «seriösen Anstrich» zu geben, wird eine Unmenge an (irrelevantem) Papier produziert. Die wesentlichen Aspekte gehen dabei selbstredend vergessen.
Bereichsübergreifende und unternehmensweite Implementation: Nicht unüblich findet man bei IKS-Projekten gewisse «Muster-Abteilungen oder -Bereiche». Diese Unternehmensteile weisen einen hohen IKS-Umsetzungsgrad auf. Gerade im Umfeld von nationalen oder internationalen Konzerngesellschaften wird aber oftmals sehr schnell deutlich, dass in Bereichen, welche eine gewisse Entfernung zum Hauptsitz aufweisen, das IKS nicht mehr mit demselben Elan (oder aber gar nicht mehr) gelebt wird. In solchen verteilten Organisationseinheiten besteht somit die Herausforderung des Managements, sicherzustellen, dass die IKS-Grundsätze möglichst unternehmensweit gelebt werden.
Aktualität des IKS: Da das IKS ein Abbild der Schlüsselprozesse eines Unternehmens darstellt, versteht es sich von selbst, dass prozessuale Anpassungen auch ihren Eingang in das IKS finden müssen. Oft genug finden nach einem IKS-Einführungsprojekt keine weiteren Anstrengungen statt, das IKS den aktuellen Gegebenheiten anzupassen.
Dokumentation: Auch im Bereich der Dokumentation wäre die goldene Mitte der ideale Ansatz. Was dem einen IKS an Dokumentation fehlt, hat das andere zu viel. Je systematischer ein solches Projekt aufgesetzt und gemanagt wird, desto einfacher ist es, den «richtigen» Dokumentationsumfang zu finden.
Die Vorgaben an ein IKS erscheinen auf den ersten Blick mannigfaltig, wenn nicht sogar komplex in der Anwendung. Dass eine praktische Umsetzung dieser Anforderungen jedoch durchaus mit vertretbarem Aufwand und pragmatisch möglich ist, zeigen die Autoren in einem zweiten Beitrag in der nächsten Ausgabe r&c, welche Ende Juni 2022 erscheint.
Text erschienen im Fachmagazin «rechnungswesen&controlling» 1 I 2021 von veb.ch